Schalmeienklänge
Mittsommermaskenspiel oder im Geweihten Garten gesehen hatte. Sie besaß schon immer Talent zur Reglosigkeit, falls man da von einem Talent sprechen konnte. Mit dem gesenkten Blick, so daß die starre Ausdruckslosigkeit ihrer Augen nicht durch die Wimpern zu sehen war, hätte sie, wenn man von ihren Fesseln einmal absah, so frei und gefährlich wie immer sein können, und unwillkürlich bekam ich vor Angst eine Gänsehaut. Das alles war nur eine unheimliche Geschichte, und ich paßte nicht in solche Geschichten.
Mir fiel auf, daß die Weißen Schalmeien sich zum ersten Mal warm anfühlten.
Leonore hob den Blick, und ich las daraus Schrecken und Haß, als sie erst die Weißen Schalmeien und dann mich anstarrte. So schnell!
»Nein, Eure Männer haben sie nicht bekommen«, sagte ich. »Aber nur, weil die Wachen in meiner Begleitung so gute Kämpfer waren. Sonst hätten Eure sich vielleicht ohne jede Vorwarnung heranschleichen können.«
Berechnung trat in die dunklen Augen. Wie Brant vermochte sie Situationen schnell und gut abzuschätzen. Oft wirkten seine Augen wie die ihren jetzt, und ich sah diese Ähnlichkeit gar nicht gerne.
Sie stellte kühl fest: »Du hast nicht viel Zeit. Oder wußtest du nicht, daß der Zauber in der Umgebung großer Gesteinsmassen wie dieses Schloß sie darstellt, nicht so lange anhält?«
Stimmte das? Dann waren Eallows Männer… »Ich glaube Euch nicht!«
Sie lächelte. »Die Weißen Schalmeien richten sich nicht nach deinem Glauben.«
Ich hätte nicht sagen können, ob sie log. Panik erfaßte mich. Wieviel Zeit hatte ich? Ich führte die Schalmeien an die Lippen und blies leise.
Diesmal erfolgte keinerlei Freudenausbruch. Ein Blasinstrument war erklungen, das war alles. Aber Leonores Blick war starr und glasig geworden. Warum hatte ich das getan? Was sollte ich sie fragen?
Ich kramte nach der Erinnerung, und dann kam sie auch wieder.
»Verliert der Zauber in der Nähe von Gestein schneller seine Wirkung?«
»Nein«, antwortete Leonore.
»Wo ist der König? In dem Raum unter dem Palast, wo ihr mich hingebracht hattet?«
»Nein. Er hält sich in seiner Privatkapelle unten auf.«
Natürlich. Sie hätte es nicht gewagt, ihn durchs Schloß zu schleppen. Er hatte seinen Soldaten Befehl erteilt, sich zu bewaffnen und im Innenhof auf ihn zu warten, dann war er in seine eigenen Gemächer gekommen, seine Waffen zu holen und Leonore – die bereits Bescheid wußte – zu erzählen, was vorgefallen war. Perwold und seine Leute, vermutlich jene, die von mir verzaubert waren, hatten Rofdal dann ergriffen, die Bediensteten umgebracht, die nicht zu ihren Anhängern gehörten, und Rofdal in seiner eigenen, nahe gelegenen Kapelle gebunden. Wenn Eallow oder sein Kurier mit den Weißen Schalmeien aus dem Wald geprescht gekommen wäre…
»Welchen Befehl wolltet Ihr Rofdal erteilen, nachdem Ihr die Weißen Schalmeien für ihn gespielt hättet?«
»Daß er seine Leute so selbstverständlich wie möglich hinter dir herführt, dann vom Pferd und in seinen eigenen Dolch fällt.«
»Ihr wolltet Eurem Ehemann Befehl erteilen, sich das Leben zu nehmen?«
»Ja.«
»Und was ist mit der Droge? Ihr müßt gewußt haben, daß die Weißen Schalmeien ohne ihre Droge nutzlos sind. Wie hofftet Ihr die Ungeduld seiner Leute zu zügeln, während Ihr alle Schritte zur Destillierung der Droge unternommen hättet?«
»Ich weiß nichts von einer notwendigen Droge«, gestand Leonore, und ihre Stimme klang zweifelnd. Also hatte Brant mehr von den alten Überlieferungen gewußt als sie – zumindest in diesem Punkt. Aber Brant lag verwundet und fiebernd im Wald, während sie unversehrt vor mir saß.
»Kommt mit!« forderte ich grob, doch sie war schon wieder zu sich gekommen. Ich packte sie bei Haaren und Schultern – jeweils mit einer Hand, obgleich ich auch noch die Weißen Schalmeien hielt – und zerrte sie mit mir. Trotz ihrer gefesselten Hände leistete sie Widerstand. Ich riß sie heftig am Haar. Wir waren ungefähr von gleicher Körpergröße, aber sie trug hohe Absätze und ich weiche Stiefel. Mein Zerren ließ sie zur Seite taumeln; ein Absatz brach von ihrem Schuh und klapperte über den Boden. Ich schleifte sie an den Haaren zur Tür von Rofdals Kapelle, die verschlossen war. Ein Wachsoldat, den ich rief, hatte die Schlüssel und sperrte auf, und ich zerrte sie hinein.
Der König von Veliano lag gefesselt in der kleinen Kapelle neben seinem riesigen Schlafzimmer. Vor ihm lagen die blutigen
Weitere Kostenlose Bücher