Schalmeienklänge
– aber Rofdal hatte Brants Frau zu seiner Mätresse gemacht und sich von Brants Schuld mit jedem noch so konstruierten Beweis, den Leonore erbracht hatte, überzeugen lassen. Aus der Tatsache, daß sie erst einen Thronfolger gebären mußte, um soviel Einfluß zu erlangen, und aus Rofdals düsterer Stimmung anschließend schloß ich, daß er die Inhaftierung bedauerte und Leonore vielleicht Vorwürfe machte. Nur sein gewaltiger Stolz hinderte ihn daran, seine eigenen Befehle zu modifizieren. Leonore hatte ihren Kopf durchgesetzt, dabei aber viel von der Gunst des Königs eingebüßt.
Er war mächtig, reizbar, starrsinnig, zornig, wenn man ihm widersprach, stolz, bedauerte bereits den Einfluß seiner Frau und glaubte fest an die Vier Schutzgötter.
Keine Argumente von Leonore hätten Rofdal aufzuhalten vermocht, mir und Brant eine Streitmacht hinterdreinzujagen. Rofdal selbst wäre an der Spitze einer solchen Einheit geritten, wie er furchtlos über Hecken setzte, an denen seine eigenen jüngeren Lords zu Fall kamen. Leonore hätte ihn weder mit Vernunft noch mit List zurückhalten können. Soviel Macht besaß sie nicht, ihren Ehemann zu überreden und gar keine, ihn zu zwingen.
Plötzlich war mir die Antwort klar, und ich wußte, warum die Männer des Königs mir nicht in den Wald gefolgt waren.
Brant stöhnte und regte sich in meinen Armen. Ich legte ihn auf den Boden und strich ihm das Haar aus der Stirn. Sein Fieber war gestiegen. Wieder stöhnte er.
»Eallow!«
Er stand an der Tür der Hütte.
»Rufe die Männer her. Alle. Nein, warte – hilf mir erst mit Lord Brant.« Eallow trug ihn hinter die eingebrochene vierte Wand an der Felsklippe entlang, legte ihn in den Schatten eines Dickichts, machte es ihm so bequem wie möglich und verdeckte ihn, so gut er konnte. Ich glaubte nicht, daß dieses Versteck jemanden hätte täuschen können. Eallow fragte ich erst gar nicht nach seiner Meinung. Ich ließ Brant Wasser und einen Dolch zurück, obwohl der letztere wenig Sinn hatte. Er hätte ihn gar nicht führen können.
Wieder blies ich in meine Schalmeien, um sicherzugehen, daß meine gesamte unfreiwillige Armee auf mich hörte. Die Leichen der bereits Getöteten lagen rings um die Hütte verstreut. Ich stapfte über sie hinweg und führte Leonores Soldaten auf das Schloß zu; ich war zu Pferd, sie zu Fuß, und wir hielten uns dicht beieinander, als wir uns den Weg zwischen den Bäumen hindurch bahnten, denn ich wagte nicht, sie außer Hörweite der Schalmeien ausschwärmen zu lassen. Sie marschierten schweigsam ohne das Jammern oder die Mutmaßungen richtiger Soldaten; ihr Gang war locker und natürlich, ihre Augen starr wie Stein. Ich ritt an ihrer Spitze, ohne mit Schwert und Bogen bewaffnet zu sein – was hätte ich auch mit ihnen anfangen sollen? –, und fühlte mich so der Wirklichkeit entrückt wie die Männer hinter mir. Schwindlig vor Hunger und ziemlich erschöpft dachte ich, daß wir sehr gut Trugbilder zwischen den Handflächen eines Geschichtenspielers hätten sein können, der geschickt genug war, so viele Figuren zu schaffen. Leise genug dafür waren wir, und ich fühlte mich schließlich auch wie ein Trugbild, da ich an der Spitze einer Armee ritt, um einem König entgegenzutreten. Ich, Fia, die sich nichts so sehr gewünscht hatte, als unversehrt mit Jorry an meiner Seite durch diese Welt zu ziehen.
Am Waldrand, wo das Schloß in Sicht kam, blies ich nochmals auf meinen Schalmeien. Ich hatte den Eindruck, als hätte sich das Gefühl inzwischen verändert. Die Musik klang für meine Ohren noch durchdringender und deutlicher, mein Bewußtsein in seiner Reaktion darauf war allerdings träger und mein Vergnügen an der Musik geschmälert. Diesmal erlebte ich keinen Ausbruch irrsinniger Freude. Und selbst im Wohlgefallen spürte ich noch die Schmerzen in meinen Schultern und Augen, daß ich mit körnig verkrusteten Lidern blinzelte. Ich begriff nicht, warum das Gefühl sich verändern sollte; ich hatte die Levkojendroge in regelmäßigen Abständen eingenommen, und an der widerstandslosen Versklavung, die der menschliche Anteil an den wundersamen Schalmeien war, hatte sich nichts geändert. Die veränderte Bewußtseinsreaktion ging nur in mir vonstatten, und mit ihr kam der Zweifel. Ich war so müde.
Veränderung, Zweifel, Müdigkeit – keines davon konnte eine Alternative bieten. Entweder diese Geschichte oder Brants Tod.
»Eallow! Such zwei Leute aus, gute und kräftige Schwertkämpfer.
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