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Schalom

Titel: Schalom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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Umarmung.
    Nechama spürte die Wärme der anderen Frau, auch die Arme, die sich um ihre Hüften legten, und sie schreckte nicht zurück. Sie wagte zwar nicht, die Arme um den Körper dieser Frau zu legen und die Umarmung zu erwidern, aber sie umarmte Jaki, der sie beide umarmte und nicht losließ. Sein Körper wurde von unhörbarem Weinen geschüttelt.
    Nechama wurde nun etwas verlegen, doch diese Frau hatte es offenbar schon vor ihr gespürt und beeilte sich, die anderen herbeizuwinken. Vicky, Avri und Na’ama gesellten sich zu ihnen und jeder umarmte jeden, nur Guy brauchte einen kleinen Anstoß von seiner Mutter. Jetzt wurden sie, Jaki und diese Frau von der ganzen Familie liebevoll umarmt.
    Wo war Menachem? Sah er sie? Hätte er mitgemacht? Gleich wird auch Gil hier sein, inmitten seiner glücklichen Verwandten. Menachem hatte es ihr zwar nicht ausdrücklich gesagt, aber bestimmt hatte er hier seine Finger im Spiel. Wie sonst konnte man diesen Telefonanruf erklären, genau in dem Moment, als alle bei Avri waren? Und wieso war Gil »ganz zufällig« aus dem Sinai zurückgekommen, genau dann, als Jaki und seine Frau den ganzen Weg von Deutschland bis hierher, nach Eilat, auf sich genommen hatten? Vielleicht hätte sie nicht erwähnen sollen, dass Menachem ihr gesagt hatte, dass dem Jungen nichts zugestoßen sei, sie brauchten von Menachems Rolle in dieser Geschichte nichts zu wissen.
    Vielleicht hatte er sie ja alle hierhergerufen, nur damit sie sich von ihr verabschieden könnten. Ihm war es nicht vergönnt gewesen, sich von Jaki zu verabschieden, bevor er ging, konnte doch sein, dass er ihr diesen Kummer ersparen wollte. Oder hatte er sie zusammengebracht, um sie nach Israel zurückzuholen? Ja, sie! Auch die da und die Kinder. Die Kinder sprachen doch Hebräisch. Vielleicht ging es ja nur darum: Wenn sie erst mit Menachem weggegangen war, konnten sie alle zurückkommen.
    Nachama wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, als Jaki und seine Frau plötzlich hinausrannten, weil sie das Taxi hörten, das vor dem Haus hielt. Die anderen folgten ihnen. Aber Nechama brauchte sich nicht zu beeilen. Sollten sie sich ruhig um ihn drängen, über kurz oder lang würde er den Weg zu ihr finden.
    Sie hatten die Tür zwar offen gelassen, aber sie ging nicht hinaus, sie blieb allein. Sie schaute sich um, wie um sicher zu sein, dass niemand da war, dann setzte sie sich an den Tisch, an dem das Abendessen unterbrochen worden war, und betrachtete die halb vollen Teller. Geschmierte Brotscheiben, die noch nicht angebissen waren, Salat, der schon gewürzt und mit Olivenöl angemacht war, vier, fünf Oliven am Rand des Tellers, ein halbes Ei. Doch ihr blieb nicht viel Zeit für ihre Gedanken, denn sie hörte, dass die fröhliche Gesellschaft hereinkam. Sie drehte sich zur Tür und wartete. Er würde gleich auftauchen, mit seinem Vater und seiner Mutter, und niemand hier würde wissen, dass er eigentlich zu ihr gekommen war. Welch eine brillante Idee, Menachemke. Sie konnte sich keine bessere Inszenierung vorstellen. Vielleicht hätten noch die anderen Enkelkinder da sein sollen, aber wenn er es nicht so eingerichtet hatte, war das wohl das Höchste, was zu erreichen war.
    »Großmutter!« Plötzlich drang der Ruf in ihr Bewusstsein.
    Sein großer Körper füllte die ganze Tür aus, und sofort hallte in ihren Ohren der Ruf von damals:
    »Hob nischt kejn mojre, ich bin a jid!« Er stand wieder vor ihr, ihr rettender Engel. Sie schaute ihren Mann an, und wie von einer Welle der Freude getragen, stand sie auf, um ihm entgegenzugehen. Größer und stärker, als er damals gewesen war, sprang Menachem auf sie zu und nahm sie in den Arm.
    »Wie geht es dir, Großmutter?«
    »Oj, mein Menachemke«, flüsterte sie, »wie lange du gebraucht hast, Gott, wie lange.«
    »Großmutter, ich bin es, Gil«, sagte der junge Mann.
    Sie konnte seine Augen nicht sehen, weil er sie umarmte, aber sie erkannte den Ton in seiner Stimme.
    Sie flüsterte: »Ich weiß, dass du Gil bist, mein Menachemke. Wenn du es nicht wärst, hätte ich denn dann auf dich warten müssen?«
    Er lachte leise, ließ sie los und schaute sie zärtlich an.
    »Frag nicht, wie es dort war«, sagte er. »Es war einfach großartig, man kann es sich nicht vorstellen, wenn man es nicht selbst erlebt hat.«
    »Ist schon in Ordnung«, sagte sie. »Ich hoffe, dass du mich nicht vergisst, wenn du dorthin zurückgehst.« In ihren Worten lag ein Tadel, aber sie lächelte.
    Vicky bat alle

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