Schalom
Passagier, alle anderen Sitze waren frei. Avris Befürchtungen, keinen Platz mehr zu bekommen, hatten sich als unbegründet erwiesen.
Jaki drückte Annas Hand, sie lächelte ihn mit glänzenden Augen an und sagte nichts.
Morgen würden sie den Toten anschauen und seine Füße identifizieren.
»Ich weiß nicht, ob ich mich morgen überhaupt traue hineinzugehen«, flüsterte er.
»Ich gehe zuerst hinein«, sagte sie. »Dann rufe ich dich, damit du dich vergewissern kannst, dass es nicht Gil ist.«
Er drückte ihre Hand noch fester.
»Wenn nun aber …«, fing er an, als seine Mutter hinter ihnen plötzlich laut sagte:
»Ich weiß, dass er nicht der Tote ist, Menachemke … ich habe dir doch schon gesagt, dass ich mir keine Sorgen mache …«
Jaki drehte sich nach hinten und fragte: »Was hast du gesagt, Mutter?«
Avri legte den Finger auf Lippen. Die Augen der Mutter waren geschlossen, sie lächelte.
33
Obwohl sie nicht mehr jung war, war die da noch sehr schön. Nechama war natürlich davon ausgegangen, dass sie schön sein musste, sonst hätte sie Jaki nicht so in Bann geschlagen, aber sie hatte sich nicht vorgestellt, dass sie so schön war. Kein Wunder, dass Jaki nicht auf sie verzichtet hatte.
Aber etwas konnte sie nicht verstehen: Wie war es möglich, dass Gil auch ihr ähnlich sah? Sie hatte es auf den ersten Blick gemerkt. Niemand wäre auf die Idee gekommen, dass es zwischen dieser Frau und Menachem eine Ähnlichkeit gab, und doch war die Ähnlichkeit zwischen ihr und Gil sofort zu erkennen, obwohl Gil andererseits aussah wie Menachem.
Gleich an der Tür konnte man sehen, wie Vicky sich freute, die da zu sehen. Ja, Vicky hatte auch sie, Nechama, herzlich empfangen, liebevoll umarmt und ein paar Sätze gesagt, die man nicht als bloße Floskeln abtun konnte, aber sie hatte die da lange umarmt und mehr als einmal geküsst. Dann hatte sie sie etwas von sich geschoben und gesagt, sie würde toll aussehen. Das ließ sich nicht leugnen.
Jetzt kamen die Stimmen der Frauen aus der Küche, sie bereiteten das Abendessen vor. Nechama verstand nicht, was sie sagten, aber die Wärme und Zuneigung zwischen den beiden war nicht zu überhören.
Sie hatte es sich im Wohnzimmer im Fernsehsessel bequem gemacht.
Als Avri und Jaki zum Flughafen gefahren waren, um Guy abzuholen, hatte Vicky zu ihr gesagt: »Du musst dich von diesem langen Weg ein wenig erholen.«
Sie konnte sich tatsächlich nicht erinnern, wann sie an einem einzigen Tag eine solche Entfernung zurückgelegt hatte, aber aus irgendeinem Grund spürte sie keine Müdigkeit. Trotzdem war es ihr angenehm, die Beine auf den Schemel zu legen und es sich bequem zu machen, allein in Avris Wohnzimmer, und auf das Essen zu warten, das ihre Schwiegertöchter zubereiteten.
Als sie begriff, was sie gerade in Gedanken gesagt hatte, lief ihr ein Schauer über den Rücken. Ihre Schwiegertöchter?
Wo bist du, Menachemke? Du bist mir ja ein Held! Warum kommst du immer zu mir, wenn ich allein bin? Warum hilfst du mir nicht, wenn ich mit den anderen zusammen bin? Hast du gesehen, wie ähnlich Gil ihr sieht? Sag doch, wie kann man das erklären? Die ganze Zeit habe ich gedacht, dass er nur dir ähnlich sieht. Du machst es dir leicht mit deinen Vorwürfen. Hast du ihre Augen gesehen? Hast du gesehen, wie sehr Jaki sie liebt? Wie klug sie ist? Ist dir aufgefallen, wie genau sie weiß, wann es besser ist, zu schweigen, und wann, sich einzumischen? Wie sie, ohne ein Wort zu sagen, darauf achtet, dass Jaki sich nicht aufregt? Glaubst du, das sind Tricks von denen dort? Ehrlich gesagt, da bin ich mir nicht mehr so sicher. Außerdem, ich bin so allein gegen Jaki und sie, du hilfst mir nicht. Entweder du kommst oder du holst mich endlich zu dir, aber lass mich hier nicht allein mit all dem! Hörst du, Menachem? Gleich kommen unsere Söhne mit Guy zurück, und auch Na’ama wird kommen. Wir werden uns alle an den Tisch setzen. Kann ich denn mit allen Streit anfangen? Wie stellst du dir das vor? Glaub mir, Menachem, ich weiß nicht mehr, was ich machen soll. Und wenn Gil plötzlich hier auftaucht? Könntest du dich der Freude entziehen, die dann aufkommt? Nein, nein, Menachemke, wenn du jetzt hier wärst, mit uns, wärst du der fröhlichste Mensch der Welt.
Sie richtete sich im Sessel auf und schaute sich um. Sie hatte gedacht, sie wäre allein im Wohnzimmer, als Menachem sie plötzlich aus dem gerahmten Foto zwischen Vickys Porzellangeschirr anlächelte.
Aha, hier versteckst
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