Schalom
zurück zum Tisch und stellte schnell noch einen Teller für Gil hin, neben Großmutter Nechama. Ihr fiel auf, dass Gil den Freund, mit dem er vor einigen Tagen aufgebrochen war, nicht mitgebracht hatte. Vielleicht hatten sie den Ausflug doch nicht zusammen unternommen? Aber weil keiner etwas darüber sagte, verkniff sie sich die Frage.
Jaki begann in vorwurfsvollem Ton Gil von den Sorgen zu erzählen, die er durch sein Verschwinden allen gemacht hatte, aber seine kluge Frau sah ein, dass dies nicht der richtige Zeitpunkt dafür war, sie unterbrach ihn liebevoll und bat Gil, von seinem Ausflug zu erzählen.
Sofort wurde er von allen mit Fragen überschüttet und genoss es sichtlich, von seinen atemberaubenden Abenteuern zwischen Meer und Wüste zu berichten.
Vicky und Na’ama füllten inzwischen in der Küche die Schüsseln und Platten nach. Nechama saß stumm und andächtig da, und noch immer lag das Lächeln auf ihrem Gesicht. Sie schaute von einem zum anderen, hörte aber eigentlich nicht zu. Sie sah das Lächeln im Gesicht von Gils Mutter, die sie nun ohne Hemmungen betrachtete. Sie zweifelte nicht daran, dass die Frau es merkte, doch sie ließ sich betrachten, als wäre das die natürlichste Sache der Welt, als wäre endlich auch dafür die richtige Zeit gekommen. Jaki merkte nichts, er konnte den Blick nicht von Gil wenden, als fürchte er, der Junge könnte wieder verschwinden, wenn er ihn auch nur eine Sekunde aus den Augen ließ.
Nach dem Essen fiel dann Jakis Frau ein, dass man den Kindern zu Hause Bescheid sagen musste. Sie ging mit Gil zum Telefon.
Als die Stimmen Gils und seiner Mutter vom Wohnzimmer herüberdrangen, begriff Nechama, dass sie, wenn sie darauf wartete, dass er sich ihr zuwenden würde, kein Wort mit Menachem allein wechseln könnte. Jaki ging nun auch hinüber ans Telefon, zu Gil und seiner Mutter. Avri hatte sich mit Guy auf den Balkon zurückgezogen. Sie konnte zwar nicht hören, worüber die beiden sprachen, aber es war offensichtlich, dass sie niemanden dazu brauchten. Als Vicky und Na’ama den Tisch abräumten, ging Nechama ins Wohnzimmer und stellte sich vor die Vitrine, als würde sie das Porzellangeschirr und die Andenken betrachten, und wartete darauf, dass die anderen aufhörten zu telefonieren.
Sie schienen es allerdings nicht eilig zu haben, und Nechama spürte, dass ihre Beine allmählich müde wurden. Wie lange konnte man auf einer Stelle stehen? Das hier war ja kein Museum. Sie legte einen hölzernen Affen, den sie in die Hand genommen hatte, wieder zurück und sah plötzlich, dass die alte Uhr, die Menachem damals für Vicky gekauft hatte, in Cohens Trödelladen in der Unterstadt, noch immer funktionierte. Das hieß, Vicky oder auch Avri machten sich die Mühe, die Vitrine einmal in der Woche zu öffnen und die Uhr aufzuziehen. Die Uhr ging zwar nicht richtig, aber sie funktionierte, Nechama konnte sie ticken hören. Dem runden hölzernen Gehäuse war anzusehen, dass Vicky es regelmäßig putzte und polierte. Als jemand ihr die Hand auf die Schulter legte, sagte sie: »Diese Uhr geht falsch.«
»Es ist egal, ob sie falsch geht, Hauptsache, sie zeigt an, dass die Zeit vergeht«, sagte Gil, und sie wusste, auch ohne aufzuschauen, dass er es war.
Jaki trat zu ihnen und erzählte Gil, dass der Großvater Vicky diese Uhr geschenkt hatte, als er entdeckte, dass sie eine Schwäche für solche Dinge hatte.
»Ist dir aufgefallen, wie viele Uhren es hier gibt?«, fragte er.
Hätte Jaki Gils Aufmerksamkeit nicht auf die Uhren gelenkt, hätte auch sie es nicht bemerkt. Außer der alten Uhr von Menachem und der Standuhr an der Wohnzimmerwand handelte es sich wohl um elektrische Uhren, denn am Rand des Wohnzimmers war kein Ticken zu hören. Oder war ihr Gehör so schlecht geworden, dass sie den Rhythmus der vergehenden Zeit nicht mehr wahrnahm?
Er hatte jedenfalls selbst gesagt, dass die Zeit vergeht, und sie brauchte nicht nachzufragen, um zu verstehen, was er meinte.
Sie musste sich auch nicht einmischen, als Gil Jakis Angebot ablehnte, sie auf dem Nachtspaziergang zu begleiten, den Gil ihr vorgeschlagen hatte.
»Ich habe mit Großmutter etwas zu besprechen«, sagte er. »Sei nicht böse, ich glaube, wir müssen ein bisschen allein sein, nicht wahr, Großmutter?«
Sie lächelte in sich hinein und wusste nicht, ob das Lächeln nicht doch auf ihren Lippen zu sehen war.
»Das stimmt«, sagte sie leise, und als sie sah, dass Avri und Guy sich noch immer auf dem Balkon
Weitere Kostenlose Bücher