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Schalom

Titel: Schalom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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unterhielten und dass Jakis Frau Vicky und Na’ama half, die Küche in Ordnung zu bringen, wandte sie sich an Jaki und sagte: »Du könntest doch auch ein bisschen helfen, warum überlasst ihr diese Arbeit immer den Frauen? Euer Vater hat sich nie vor seinem Anteil bei diesen Arbeiten gedrückt. Wer hat euch beigebracht …«
    »Gut, Mutter, ich habe schon verstanden.«
    Erst dachte sie, er wäre beleidigt, aber er schlug ihnen vor, zur Strandpromenade zu gehen, lächelte und sagte: »Ich finde schon eine Beschäftigung. Macht euch keine Gedanken.«
    Der Taxifahrer ließ sie hinter der Ampel an einer kleinen Bucht aussteigen und fuhr weiter. Fast auf dem ganzen Weg bis zur Promenade hatte er versucht, Gil in ein Gespräch zu verwickeln, doch da er auf seine Fragen immer nur knappe Antworten bekam, hatte er es aufgegeben, und als sie ausstiegen, waren sie froh, von der bedrückenden Stille erlöst zu sein.
    Nechama hakte sich bei Gil ein, und so gingen sie zusammen los. Als sie und Menachem nach Avris und Vickys Hochzeit hier spazieren gegangen waren, hatten sie die Schuhe ausziehen müssen, weil alles Sand gewesen war. Jetzt gab es eine Promenade, die sie langsam entlanggehen konnten, ohne sich anzustrengen. Auch die vielen Menschen, die zwischen den Verkaufsständen herumliefen, störten ihre Ruhe nicht. Sie waren allein unter einem sternenübersäten Himmel, und alle anderen waren für sie nur ein bewegliches Bühnenbild.
    »Ich möchte, dass du die Stelle siehst, an der wir damals die ganze Nacht gesessen und geredet haben«, sagte sie.
    Er nickte stumm, um den Zauber nicht zu zerstören. Sie näherten sich den Hotels. Von dem großen, menschenleeren Strand, an dem sie nach Avris und Vickys Hochzeit spazieren gegangen waren, war nur ein schmaler Sandstreifen zwischen Promenade und Meer geblieben, von wenigen Palmen unterbrochen, die vor dem schwarzen Meer in den dunklen Himmel aufragten. Damals hatten sie auf dem feuchten, körnigen Sand aus zermalmten Muscheln und feinem Kies gesessen und Menachem hatte den Sand ständig durch die Finger rieseln lassen.
    »Weißt du noch, wie wir mit dem Schiff nach Israel gekommen sind? Wie wir den Carmelberg angestaunt haben?« Er hatte über die dunkle Bucht gezeigt und hinauf zu den Sternen, die Lichtpunkte am Himmel waren. »Wenn man uns irgendwann aus diesem Land vertreiben sollte, wird es von dieser Stelle aus sein, hier zwischen Berg und Meer und Himmel, an diesem Meeresarm, der bis nach Afrika reicht.«
    Damals hatte sie nicht verstanden, wie Menachem auf die Idee gekommen war, jemand könnte sie zwingen, das Land zu verlassen, aber sie hatte die Stille, die vom leisen Anschlagen der Wellen bestimmt war, nicht zerstören wollen und nichts gefragt. Als ihr Blick jetzt über die Wellen mit den weißen Gischtkronen glitt, hallten die Worte in ihrem Kopf wider, und während sie sich auf den Arm ihres Enkelsohns stützte, der wie Menachem aussah und schweigend neben ihr ging, hatte sie auf einmal das Gefühl, Menachems Worte zu verstehen.
    »Wie schön es hier ist«, sagte Gil.
    Sie nickte und schaute wieder auf das Wasser hinter den Palmen. Sie führte ihn weiter über die Promenade.
    »Wohin gehen wir, Großmutter?«
    »Bis zum Ende«, sagte sie, ohne den Blick vom Wasser zu nehmen.
    »Ist das nicht zu weit?«
    »Nein, nein. Warum? Fällt es dir schon schwer?«
    »Mir? Nein, nein, ich dachte nur … nein! Mir fällt es nicht schwer, warum denn auch?«
    Es tat ihr gut zu merken, dass Menachem seine vertraute Gewohnheit beibehalten hatte, manchmal ausweichend zu antworten, nur um nichts zu sagen, was sie vielleicht verletzen könnte.
    Sie beruhigte ihn. »Wenn es mir schwerfällt, werde ich es dir sagen.«
    »Bist du nicht müde, Großmutter? Es ist schon ziemlich spät«, sagte Gil, als sie verwirrt die gewölbte Brücke über den Kanal betrachtete, der die Promenade teilte.
    Nichts kam ihr bekannt vor, nicht der Bootshafen, der plötzlich vor ihnen auftauchte und an eine Rampe grenzte, die von Scheinwerfern beleuchtet war, auch nicht dieser Kanal, der vom Meer ins Land führte und irgendwo bei den Hotels verschwand.
    »Damals gab es hier nur ein paar Zelte«, sagte sie. Sie bedeutete ihm, sie über die Brücke zu führen.
    Obwohl sie heute Morgen noch in Haifa aufgestanden war, obwohl sie zum ersten Mal nach vielen Jahrzehnten allein mit der Eisenbahn gefahren war und obwohl sie zum ersten Mal ohne Menachem von Tel Aviv nach Eilat geflogen war und nun schon eine ganze

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