Scham und Schamlosigkeit: Die wahre Geschichte der Marianne Dashwood (German Edition)
Falten. Nur zwischen den Augen bildete sich ein Sorgenkrater. Optisch hatte er sich kaum verändert und doch war er nicht mehr der Mann, den ich geheiratet hatte.
Die Maschine rumpelte, als der Pilot auf der Landebahn in Muscat aufsetzte. Walter öffnete die Augen. Er gähnte und streckte sich, soweit es im Sitzen möglich war, und verstaute die Zeitschrift und seine Lesebrille im Handgepäck. Ganz versierter Geschäftsmann.
Er sah mich nicht an. Er sah mich schon lange nicht mehr an. Und dabei sehnte ich mich danach, dass er mich noch einmal so ansähe wie damals, als wir uns kennen gelernt hatten. In seinen Blicken hatte so viel Liebe gelegen, dass mir schwindlig davon wurde und ich mich oft gefragt hatte, ob ich diese Gefühle würde aushalten können, die wie ein Wolkenbruch auf mich nieder prasselten. Ob ich in der Lage wäre all seine Liebe in mich aufzunehmen, ohne auch nur einen einzigen kostbaren Tropfen zu verschütten.
Heute wünschte ich mir wenigstens einen kurzen Sommerschauer.
Wenn er mit mir redete, wollte ich allein sein. Wenn er mit mir schlief, war ich einsam. Die meiste Zeit fühlte ich mich wie ein Möbelstück, das auf den Speicher verbannt worden war. Ausgemustert. Doch zu vertraut zum Wegwerfen.
Das Flugzeug stoppte und das Brummen der Turbinen verstummte. Ich nahm meine Handtasche aus dem Gepäckfach und setzte meine Sonnenbrille auf.
Das war unser erster gemeinsamer Urlaub seit vier Jahren. Und die letzte Chance für unsere Beziehung.
Ich bewachte unser Gepäck, während Walter die Formalitäten beim Mietwagenservice erledigte und kramte in meiner Reisetasche nach meinem Notizbuch. Die Wartehalle war überfüllt. Es war laut und stickig. Ich wurde angerempelt und das kleine Buch fiel aus meiner Hand; lose Zettel und Karten flatterten auf den Boden. Ich klaubte die Sachen zusammen und eine grauhaarige Europäerin reichte mir eine Postkarte. Ich erkannte in ihr meine Sitznachbarin wieder.
„Entschuldigen Sie“, sagte sie, „das Gedränge hier ist unglaublich.“ Die Frau betrachtete die Karte. „Ist das Afrika? Sie kommen wohl viel rum.“
„Leider nicht. Die Karte bekam ich von einer Freundin; sie ist Entwicklungshelferin in Tansania.“ Ich stopfte die Sachen ungeordnet in meine Tasche zurück. „Wir wollten damals eigentlich zusammen fahren … Die Karte ist schon ein paar Jahre alt, ich trage sie nur aus Sentimentalität bei mir.“
„Es muss sehr befriedigend sein aktiv zu Helfen.“
Wir gingen zusammen zum Ausgang. Die Sonne brannte. Mein Mund war trocken. „Ja, leider konnte ich sie nicht begleiten, mein Mann …“ Ein Hupen schnitt mir die Worte ab, und ich stieg in den Wagen. Walter warf die Koffer auf den Rücksitz. Meine Begleiterin nickte mir zum Abschied zu, während sie einen Taxifahrer herbei winkte.
Der Jeep, den Walter gemietet hatte, sah aus, als wäre er ein Veteran aus dem Zweiten Weltkrieg. Verwundet und notdürftig im Lazarett zusammen geflickt, um weiter zu kämpfen. Keine Klimaanlage, aber Vierradantrieb.
Ich warf meine Bluse auf den Rücksitz und band meine Haare zusammen. Walter studierte eine Straßenkarte und machte sich Notizen auf einem kleinen Block.
„Können wir uns noch die Stadt ansehen?“, fragte ich.
Walter faltete die Karte ordentlich zusammen und verstaute sie im Handschuhfach.
„Wir müssen gleich los fahren“, sagte er mit einem Blick auf seine Armbanduhr.
Natürlich. Ich hätte nicht zu fragen brauchen. Walter hatte alles akribisch geplant, wie er das immer tat. Da war kein Platz für Spontanität. Ich schnallte mich an und verschränkte die Arme vor der Brust. Zu widersprechen hätte nur in endlosen Diskussionen geendet, auf die ich keine Lust hatte. Geführt hätte es sowieso zu nichts anderem, als dass wir letztendlich doch gemacht hätten, was er geplant hatte. Ich seufzte und Walter startete den Wagen.
„Wir wollen doch zum Abendessen im Hotel sein“, fügte er hinzu und tätschelte flüchtig mein Knie. Ich schob seine Hand weg. Ich hasste es, wenn er sich aufführte wie ein guter Onkel und mich behandelte wie ein unmündiges Kind. Walter schien meinen Unmut nicht zu bemerken. Er konzentrierte sich auf den Verkehr und pfiff leise vor sich hin.
Die Schnellstraße war gut ausgebaut und wir kamen zügig voran. Wahrscheinlich genau in seinem Zeitplan. Ich atmete tief durch und sah aus dem Fenster. Walters Pedanterie sollte mir nicht den Urlaub verderben.
Die Landschaft war unwirklich wie ein Traum. Die Vegetation
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