Schamanenfeuer: Das Geheimnis von Tunguska
dunkelroten Kaschmirhausmantel und ledernen Pantoffeln. Die Verwirrung war ihm anzusehen.
»Was ist denn hier passiert?« Sein ausdrucksloser Blick richtete sich auf den bleichen, mit Blut verschmierten Körper des Mädchens. Einer der ausgebildeten Sanitäter des GazCom-Teams hüllte sie sorgsam in eine goldene Wärmefolie, nachdem er sie untersucht und ihr stellvertretend eine Beruhigungsspritze gesetzt hatte, weil Doktor Parlowa erst am Nachmittag mit dem Helikopter aus Krasnojarsk zurückerwartet wurde.
»Keine Ahnung, was in sie gefahren ist«, brummte Lebenov. »Bringt sie in die Lazarett-Baracke! Wascht ihr das Blut ab und lasst sie nicht allein!« Beiläufig schaute er sich um. Überall lagen Kleidungsstücke. Auf einem Tischchen stand ein halb voller Parfümflakon mit dem Namen eines bekannten russischen Models, und hinter dem Bettpfosten klemmte ein abgewetzter Plüschhase mit zerzaustem bräunlichem Fell. Neben dem Bett standen mehrere leere Wodkaflaschen und eine halb volle Flasche Krimsekt.
»Sobald sie ansprechbar ist, will ich sie verhören. In der Zwischenzeit verlange ich eine Aussage all jener, die mit Solotow den Abend verbracht haben. Ich will wissen, wie er in das Bett dieser kleinen Schlampe geraten ist und warum er so dumm war, sie im Vollrausch mit entsicherter Waffe zu bumsen.«
Professor Olguth war unbemerkt hinzugetreten. Ihm war anzusehen, wie sehr ihn das Schicksal seiner Studentin entsetzte.
»Paulina ist keine Schlampe«, verteidigte er seinen Schützling mit gefasster Stimme.
|262| Zwei Männer trugen das Mädchen auf einer Trage hinaus. Ihre langen Locken hingen von Blut verklebt über den Rand der Trage herab. Olguth streichelte ihr im Vorbeigehen beruhigend den Kopf. Sie starrte ins Leere, die Lippen so weiß wie das übrige Gesicht, das übersät war von feinen rötlichen Blutspritzern, die sich wie Sommersprossen über Hals und Brust zogen. Mit einer bestimmenden Geste wies der Professor eine weitere Studentin an, die wie erstarrt im Türrahmen stand, sich um das Mädchen zu kümmern.
Lebenov hob eine Braue, als sich der Professor aus Moskau erneut an ihn wandte. Er überragte Olguth um Haupteslänge. Trotzdem dachte der viel kleinere Professor nicht daran zurückzuweichen.
»Falls Ihnen das entgangen sein sollte: Paulina ist die Tochter eines Bergbauingenieurs, der bereits seit Jahren für Ihre Firma arbeitet. Sie ist eine meiner besten Schülerinnen. Aus meiner Sicht hat einer Ihrer Leute versucht, sie zu vergewaltigen. Wie hätte es sonst zu diesem Unglück kommen können?«
»Sie ist freiwillig mit ihm gegangen.« Akim Rebrov, ein Kamerad Kirills, mischte sich ein, ohne zuvor von Lebenov die Erlaubnis zum Sprechen erhalten zu haben. Lebenov ließ ihn gewähren.
»Sag uns, was du gesehen hast«, befahl er in der vagen Hoffnung, dass der unerschrockene Kerl Licht in die Angelegenheit bringen konnte.
»Die Studentin Paulina war bei uns im Zelt, gestern Abend, nachdem die Wachablösung beendet war. Kirill hat sie auf einen Wodka eingeladen. Sie hatte ihm schöne Augen gemacht, kaum dass wir angekommen waren, und welcher halbwegs gesunde Kerl lässt sich eine solche Chance entgehen?«
»Das tut nichts zur Sache«, warf Lebenov ungeduldig ein. »Ihr wisst, dass ihr nichts mit Frauen anfangen dürft, solange ihr euch im Einsatz befindet. Schon gar nicht, wenn es sich um Schutzbefohlene handelt. Wie also ging es weiter?«
»Sie hat mindestens soviel Wodka getrunken wie Kirill. Sie saß neben ihm auf einer Bank, und nach dem vierten Glas Wodka haben sie sich unter dem Tisch begrapscht. Sie hat ihm in die Hose gefasst, und er hat an ihr herumgespielt – bis ihre Augen glasig wurden und sie ihn aufforderte, mit ihr aufs Zimmer zu kommen. Ich hörte, wie sie sagte, sie wolle mit ihm Russisch Roulette spielen.«
|263| »Russisch Roulette?« Olguth sah den Soldaten entsetzt an. »Mit einer Waffe?«
Akim grinste mitleidig. »Nein, Alterchen«, antwortete er respektlos. »Das nennt man so, wenn man mit einer Braut vögelt, die Verhütungsmittel ablehnt. Wird trotz dieser blödsinnigen AIDS-Geschichte immer beliebter. Besonders die Frauen stehen drauf. Man sollte es kaum glauben.«
Olguth schüttelte fassungslos den Kopf. »Das kann ich mir bei Paulina nicht vorstellen. Sie ist intelligent, kommt aus gutem Hause und hat das ganze Leben noch vor sich. Warum sollte sie sich mit einem solchen Trottel abgegeben und obendrein eine Schwangerschaft riskieren?«
»Die dümmsten
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