Schamanenfeuer: Das Geheimnis von Tunguska
nichts dagegen.« Einen Moment schien sie überlegen zu müssen, wie es weitergegangen war, doch dann fuhr sie fort.
»Während er in mich eindrang, glaubte ich einen huschenden Schatten zu sehen, und dann spürte ich, wie Kirill etwas durchfuhr. Ein Ruck ging durch seinen Körper, und er verdrehte die Augen. Ich dachte zuerst, er mache einen Scherz. Doch dann breitete sich ein höllischer Schmerz in meinem Unterleib aus, und ich bettelte ihn an, er solle damit aufhören. Aber er dachte nicht daran. Sein Schwanz erschien mir wie ein Speer, an dem sich Widerhaken befanden. Ich habe ihn angebrüllt und dabei in seine Augen geschaut. Ein seltsames Glühen lag in seinen Pupillen und machte mir höllische Angst. Ich konnte nichts tun. Er hielt mich fest und beugte sich laut stöhnend über mich. Dann schnellte seine Zunge hervor, wie die Zunge eines Warans, blau und gespalten. Ich hatte das Gefühl zu ersticken, als er sie in meinen Rachen stieß. Ich habe geröchelt und versucht, um Hilfe zu schreien, doch es ging nicht. Es war, als ob sich Zunge und Schwanz durch all meine Eingeweide hindurchbohren würden und er mir damit sämtliche Organe herausreißen wollte. In meiner Not habe ich nach seiner Waffe gegriffen. Sie lag neben dem Bett, weil er mir noch in der Nacht gezeigt hatte, wie man sie lud und entsicherte.« Sie stockte abermals, und ihr Gesicht verwandelte sich in eine verzweifelte Grimasse. »Ich musste ihn töten, er war ein Monster. Er hätte mich umgebracht!«
|268| Ein Schluchzen entfuhr ihrer heiseren Kehle. Sie drehte sich zur Seite und versteckte ihr Gesicht hinter einem Kissen, das sie mit verkrampften Fäusten vors Gesicht presste, während sie laut zu weinen begann.
Doktor Parlowa zeigte so etwas wie Mitgefühl und nahm ihr vorsichtig das Kissen ab. Mit der Hilfe eines Sanitäters, den Lebenov hinzurufen ließ, spritzte sie ein Gegenmittel in die bläulich hervortretende Vene, das Polina zur Ruhe kommen ließ. Dann schickte sie die Männer für eine Weile hinaus, um das Mädchen weiter zu untersuchen.
»Die gynäkologische Untersuchung hat keinen Befund ergeben«, erklärte die Ärztin wenig später draußen vor der Baracke auf einer kleinen Veranda. Dabei wandte sie sich ihren beiden Auftraggebern zu und dämpfte für einen Moment ihre Stimme. »Außer dem Sperma des Soldaten haben wir nichts Ungewöhnliches feststellen können. Allerdings ähnelt die Beobachtung des Mädchens den Aussagen von Wanja Biborow«, gab sie mit einem Seufzer zu bedenken. »Angeblich hat sich sein Kamerad ebenfalls in ein Monster verwandelt, das beinahe genauso aussah.«
Doktor Parlowa sah Lebenov und Bashtiri abwechselnd an. »Es klingt vielleicht verrückt, aber auf dem Flug nach Krasnojarsk hat er über nichts anderes geredet.«
Lebenov schaute teilnahmslos auf die Tür, hinter der sich das Mädchen in einem erlösenden Schlaf befand. »Wir sollten sie fürs Erste in eine geschlossene Anstalt einweisen lassen, genau wie Biborow. Vielleicht kann man dort herausfinden, was diesen psychotischen Schub ausgelöst hat. Und dann muss man die Blutproben untersuchen. Möglicherweise haben sie doch etwas eingeworfen, bevor es zur Sache ging.«
»Ich kann es nicht ausschließen«, bestätigte Doktor Parlowa mit einem langsamen Nicken. »Allerdings habe ich noch von keiner Droge gehört, die ein spezielles, gleich aussehendes Monster im Hirn erzeugt.«
Für einen Moment schreckte Leonid auf, obwohl er glaubte, die Nähe des Alten gespürt zu haben. Geduckt, hinter seinem Felsvorsprung blinzelte der junge Ewenke in das grelle Licht, das wie ein Scheinwerfer von oben in sein düsteres Gefängnis herein fiel. Ajaci bellte kurz auf, |269| dann stieß er ein lang gezogenes Heulen aus, als Leonid plötzlich und unerwartet aus dem unheimlichen Loch herauskletterte. Taichin, der in einer gebückten Haltung vor dem Einstieg stand, atmete schwer, während er Leonid seine faltige Hand entgegenstreckte, um ihm heraufzuhelfen. Leonid schlug das Angebot seines Großonkels mit einem dankbaren Lächeln aus und richtete sich zu voller Größe auf.
Taichin war nur wenig kleiner als er selbst – eine Seltenheit unter den alten Tungusen, weil die meisten der einheimischen Jäger und Sammler eher von kleinem Wuchs waren. Die schräg stehenden blauen Augen leuchteten stechend aus dem gebräunten, faltigen Gesicht des Alten heraus.
»Hast du meine innere Stimme hören können?« Leonid schaute seinem Schamanenmeister forschend ins
Weitere Kostenlose Bücher