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Schamanenfeuer: Das Geheimnis von Tunguska

Schamanenfeuer: Das Geheimnis von Tunguska

Titel: Schamanenfeuer: Das Geheimnis von Tunguska Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina André
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ein heftiger Kampf, weil seine Seele sich mit aller Macht sträubte, doch der Geist des Schamanen schien stärker zu sein, und er war nicht allein. Unzählige hilfreiche Hände, die wie aus dem Nichts auftauchten, zerrten an seinen Muskeln und Sehnen, schnitten ihm das Fleisch und die Knochen entzwei und setzten anschließend alles wieder zusammen.
    Als ein merkwürdiger Kobold begann, seinen Kopf zu bearbeiten, war es schiere Panik, die Leonard durchfuhr. Alles Schreien und Brüllen war nutzlos. Der Kopf wurde abgesägt, und mit Hammer und Meißel solange bearbeitet, bis man ihn wieder aufsetzen konnte.
    Zum Schluss blieb ihm nur noch zu kapitulieren und zu warten, bis das Brennen und Klopfen unter seiner Haut nachgelassen hatte. Mühsam öffnete er die Augen. Es war Nacht, und nur das Licht des Mondes schien zu ihnen herein.
    Tschutschana saß in seiner leiblichen Hülle an Leonards Bett und murmelte sonore Beschwörungsformeln. Als er sah, dass Leonard die Augen geöffnet hatte, lachte er scheppernd.
    »Hast du wirklich geglaubt, du kannst dem großen Tschutschana entwischen?«
    »Ich ha … habe Durst«, stotterte Leonard. Nur langsam begriff er, dass er ins Leben zurückgekehrt war.
    Tschutschana reichte ihm einen Krug mit Wasser.
    Leonard trank in einem Zug den ganzen Becher leer. Er fühlte sich noch schwach, als er den Becher selbstständig auf einem Tischchen absetzte, doch zugleich fühlte er sich besser als je zuvor in seinem Leben.
    »Ich danke dir«, sagte er leise und packte Tschutschana am Arm.
    »Alles hat seinen Preis«, erwiderte der Schamane mit gewohnt düsterem Blick.
    »Was willst du mir damit sagen?« Leonard hoffte, dass der Alte vielleicht zu einem Scherz aufgelegt war.
    »Die Geister meiner Ahnen haben dich nicht umsonst gerettet. Du schuldest ihnen was. Eines Tages werden sie kommen und sich ein Kind von dir holen.«
    |260| »Ein Kind? Welches Kind?« Er war verwirrt. Woher wusste Tschutschana von Katja und ihrer Schwangerschaft?
    »Nicht dieses Kind«, krächzte Tschutschana mit ungeduldiger Miene und bewies damit, dass er auch Gedanken lesen konnte. »Von heute an bist du mit mir und meinem Stamm auf ewig verbunden. Du wirst uns ein Kind schenken, und dieses Kind wird wieder einem Kind das Leben schenken. Und im neunten Kind dieses Kindes wird ein großer Schamane das Licht der Welt erblicken. Er wird viel Unglück über seine Familie bringen, doch er wird stärker sein als alle seine Vorfahren zusammen.«
    Als Leonard noch immer nicht zu verstehen schien, machte Tschutschana eine weit schweifende Geste und ließ mitten im Zimmer einen imaginären Baum entstehen, dessen Zweige bis in den Himmel reichten.
    »Siehst du dort in den höchsten Wipfeln die Nester?«
    Leonard nickte schwach. Er hatte es aufgegeben, begreifen zu wollen, was um ihn geschah.
    »In ihnen wachsen die Seelen der nächsten Schamanen heran. Im obersten aller Nester liegt die Seele unseres jüngsten Schamanen. Seine Zeit wird kommen, in ferner Zukunft – dann, wenn unser beider Zeit längst vorübergegangen ist.«

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    20
    Juni 2008, Tunguska – Blutzoll
    Als Lebenovs Männer die kleinste Baracke des Camps stürmten, in der Polina Petrowa, eine junge Geologiestudentin aus Sankt Petersburg, ihr provisorisches Sommerlager aufgeschlagen hatte, war es bereits zu spät. Splitternackt und blutüberströmt lag sie in ihrem Bett, über sich den halb angezogenen Leichnam eines ebenso jungen Soldaten.
    Lebenov, der hinzukam, nachdem zwei seiner Leute den Raum gesichert hatten, rätselte einen Moment lang, ob das Paar gemeinsam einen Selbstmordversuch begangen hatte. Das dunkelhaarige Mädchen hielt die Waffe immer noch in der rechten Hand, als wäre sie zu Stein erstarrt. Erst als die Wachleute hinzutraten und sie von dem massigen Mann befreiten, öffnete sie die Augen einen Spalt weit und |261| gab ein Wimmern von sich. Mehrere Schüsse in Brust und Hals hatten den zweiundzwanzigjährigen Kirill Solotow das Leben gekostet.
    Einer seiner Kameraden versuchte, die in sich verkrallten Finger des Mädchens zu öffnen, um an die Pistole zu gelangen, die Kirill noch gestern Abend am Gürtelholster getragen hatte. Ein anderer hielt eine Maschinenpistole auf das Mädchen gerichtet, für den Fall, dass sie erneut zu schießen begann.
    Nachdem es dem Kameraden endlich gelungen war, die Waffe an sich zu nehmen, erhielt Sergej Bashtiri die Erlaubnis, eintreten zu dürfen. Flankiert von seinen Bodyguards erschien er in einem

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