Schamanenfeuer: Das Geheimnis von Tunguska
und würde die Russen ganz schön in Verlegenheit bringen. Schließlich ist es doch sehr fraglich, warum sie nicht selbst längst darauf gekommen sind.«
»Vielleicht sind sie es ja, und niemand wollte die Sache breit treten, weil man nicht aller Informationen habhaft werden konnte, und es wäre schwer, eine solche Begebenheit bis in die letzte Instanz zu beweisen.«
»Man kann eine solche Erkenntnis doch nicht einfach unter den Teppich kehren.«
»Reicht es dir nicht, dass die Forscher damals die Angelegenheit mit ihrem Leben bezahlt haben? Wenn nun die Sache mit den Schamanen ans Licht kommt, wird es nicht dabei bleiben. Und auch mich würde es betreffen.« Seine Stimme klang aufgebracht.
Viktoria fühlte sich missverstanden. »Was hat es mit dir zu tun? Die |445| Sache ist längst abgehakt. Heutzutage gibt es Atombomben, die weitaus zerstörerischer sein können.«
Leonid antwortete nicht sofort. Er seufzte leise. »Diese Fähigkeiten der beiden getöteten Schamanen nennt man in unseren Kreisen das unsichtbare Feuer oder auch Schamanenfeuer. Der Schamane kann es mit seinem Geist entfachen. Es besitzt die vernichtende Kraft von Antimaterie. In den falschen Händen und unter unglücklichen Umständen kann es zu einer weit größeren Katastrophe führen als die in der steinigen Tunguska vor einhundert Jahren. Selbst wenn es sich für dich als Wissenschaftlerin völlig verrückt anhört – es kommt direkt von Ogdy, dem Gott des Feuers und des Donners. Die Legende besagt, er habe es einigen Auserwählten vor langer Zeit geschenkt, damit sie den Menschen im Angesicht ihrer Feinde das Überleben sichern konnten. Heutzutage gibt es angeblich niemanden mehr, der so etwas zuwege bringen könnte. Mit einer Ausnahme …«
»Was willst du damit sagen?«
»Denk doch mal nach! Warum haben meine Großeltern mir die Sache mit dem Tagebuch solange vorenthalten? Und warum wollten sie nicht, dass ich in die Fußstapfen meines Großonkels trete?«
»Du stammst von diesen beiden Schamanen ab und hast ihre Fähigkeiten geerbt? Heißt das, du bist tatsächlich in der Lage, kraft deiner Gedanken einen massiven Einfluss auf physikalische Gesetzmäßigkeiten zu nehmen?« Als Physikerin erschien es ihr kaum vorstellbar, dass so etwas möglich sein sollte. Aber im Zeitalter von Genforschung und Quantenphysik war es durchaus angebracht, die Angelegenheit nicht einfach abzutun, sondern ihr auf den Grund zu gehen. Und dass russische Wissenschaftler auf eine ähnliche Idee kommen könnten, wenn ihnen das Tagebuch in die Hände fiel, erschien ihr plötzlich einleuchtend.
Leonid atmete tief ein und aus. »Ich fürchte ja. Und niemand, wirklich niemand sollte davon erfahren.«
»Man könnte dich doch nicht zwingen, deine Fähigkeiten unter Beweis zu stellen, solange du es nicht willst?«
»Man kann jeden Menschen zwingen, die unmöglichsten Dinge zu tun, solange es jemanden gibt, den er liebt und dessen körperliche Unversehrtheit ihm am Herzen liegt.« Er strich ihr Haar zur Seite und |446| küsste sie auf die bloße Schulter. »Was denkst du, warum ich nicht zum Kreml gelaufen bin, nachdem ich aus Tschetschenien fliehen konnte? Und warum ich darauf verzichtet habe, Bashtiri und seine ganze verdammte Bande ans Messer zu liefern?«
»Weil du Angst hattest?«
»Ja.« Er lachte unfroh. »Angst ist das richtige Wort. Aber nicht um mich und mein mickriges Leben. Nein, ich hatte Angst, dass Lebenovs Leute Vera Leonardowna auf ihre alten Tage den Hals aufschneiden oder meinen Dedka im Chekosee ertränken würden, wenn sie herausbekommen sollten, dass ihr einziger Enkel noch lebt und dem FSB ein paar nette Geschichten geliefert hat.«
»Aber wenn es stimmt, was dein Großonkel über deine Fähigkeiten sagt, könntest du deine Widersacher alle mit einem Schlag vernichten. Hast du daran schon einmal gedacht?«
»Vika …« Es war das erste Mal, dass er sie so nannte. »Und wenn ich es wollte, was würde das bringen? Bin ich Superman? Soll ich die ganze Welt ausradieren? Es wimmelt überall nur so von Korruption und unseligen Machenschaften. Das ist wie ein Krake, der sich ständig erneuert. Schlägst du einen Arm ab, wächst ein anderer nach. Sogar unsere Politiker machen da keine Ausnahme. Es müsste ein Wunder geschehen, wenn Hass, Rivalität und die Gier nach Macht von heute auf morgen verschwinden sollten. Und was das Schlimmste ist: Selbst im Jenseits gibt es eine Ober- und eine Unterwelt. Ich weiß, wovon ich spreche, ich war schon
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