Schamanenfeuer: Das Geheimnis von Tunguska
dort.«
»Deine Großmutter sagte mir, dass du drogenabhängig warst, als du aus Tschetschenien zurückgekehrt bist. Stimmt das?« Viktoria konnte sich unter seinem schrägen Bekenntnis nichts anderes vorstellen, als dass er von einem LSD-Trip sprach.
Er lachte leise. »Was weißt du noch von mir? Dass ich mit drei Jahren immer noch in die Hosen geschissen habe?«
»Es tut mir leid. Ich glaube nicht, dass sie wollte, dass ich es dir erzähle.«
»Du kannst es ruhig wissen«, beruhigte er sie und wurde gleich wieder ernst. »Es hat Jahre gedauert, bis ich mit meinen Kriegserlebnissen klargekommen bin. All die Toten und Verletzten. Die himmelschreiende Ungerechtigkeit und das fortwährende Leid. Und dann die Gewissheit, |447| nichts, aber auch absolut gar nichts daran ändern zu können. Selbst Taichin konnte mir zu Anfang nicht helfen. Erst mit der Zeit habe ich nach Lösungen gesucht und sie in meinem Glauben gefunden.«
»Denkst du, es gibt eine gemeinsame Zukunft für uns, Leonid? Ich meine … für dich und mich?«
Für einen Moment war er sprachlos. Er räusperte sich erst, bevor er zu einer Antwort ansetzte. »Es wäre zu schön, um wahr zu sein, oder?«
Sie drehte sich zu ihm hin und umarmte ihn fest. »Aber was wäre, wenn ich dich liebe und nicht mehr ohne dich leben will? Denkst du, wir könnten irgendwohin gehen, wo uns Bashtiri und der FSB nicht finden?«
Leonid küsste sie zärtlich und sagte nichts. Sie spürte seinen bebenden Atem. »Ich würde es mir wünschen«, flüsterte er schließlich.
Jedoch befürchte ich, dass das kaum möglich sein wird.
Aber das dachte er nur und sprach es nicht aus.
Am frühen Morgen waren zwei Helikopter nach Krasnojarsk gestartet. Zusammen mit Oberst Pokrovskij und seinen Leuten befanden sich noch Doktor Swerew, Taichin Schenkov und Vera Leonardowna Schirova sowie die beiden deutschen Wissenschaftler, Sven Theisen und Gregor Rodius, an Bord.
Sergej Sergejewitsch Bashtiri hatte es vorgezogen, in Begleitung seiner Bodyguards mit dem firmeneigenen Helikopter bis nach Tomsk zu fliegen. Von dort aus ging es mit einem privaten Learjet direkt nach Moskau. Er hatte es eilig, galt es doch in seinem zentralen Firmenbüro nahe dem Kreml ganz persönliche Fäden zu spinnen.
Am Flughafen von Krasnojarsk schob Rodius den Rollstuhl, in dem Theisen saß, in Richtung Gate B. An ihrer Seite führte Oberst Pokrovskij ein Telefonat mit seinem Mobiltelefon. Seine Mitarbeiter waren mit Großmutter Schirova und Großonkel Schenkov in einem Nebenraum verschwunden, um die gesonderte Abfertigung vorzubereiten. Der Oberst sprach leise und diszipliniert, und als er auflegte, lächelte er Rodius aufmunternd an.
|448| »Ihre Kollegin hat hier in Krasnojarsk Geld abgehoben. Bei einer europäischen Bank«, verkündete er süffisant. »Außerdem hat sie mit ihrer Mutter telefoniert. Ich halte das für ein gutes Zeichen. Allem Anschein nach behandelt ihr Geiselnehmer sie anständig und erlaubt ihr gewisse Freiheiten.«
Theisen bedachte den deutschen Professor mit einem fragenden Blick.
»Darf man erfahren, woher Sie das so schnell wissen können? Ich meine, in Deutschland gibt es ein Bankgeheimnis. Schließlich hat sich Doktor Vanderberg keines Verbrechens schuldig gemacht.«
»In Russland hat niemand Geheimnisse«, erklärte Pokrovskij mit abgeklärter Miene. »Es sei denn, es handelt sich um die Regierung selbst.«
»Und?«, fragte Rodius ungeduldig. »Weiß man, wo sie sich aufhält?«
»Nein, leider nicht«, gab Pokrovskij mit einem Seufzer zu. »Nur dass sie ihr Haar platinblond gefärbt hat und selbst für westliche Verhältnisse recht gewagte Kleidung trägt.« Er grinste. »Das war es jedenfalls, was dem Bankbediensteten in Erinnerung geblieben ist. Wir haben unsere Fahndung daher neu ausgerichtet. Alle Bahnhöfe und die Flughäfen werden weiterhin überwacht.«
»Platinblond?« Theisen konnte es kaum fassen.
»Ja …«, erwiderte Pokrovskij mit einem Blick des Bedauerns, »es mag bedeuten, dass sie mit dem Entführer unter einer Decke steckt.«
»Es könnte doch durchaus sein, dass er sie dazu gezwungen hat, ihr Haar zu färben und sich umzuziehen«, verteidigte Rodius seine Assistentin. Gleichzeitig beschlich ihn ein mulmiges Gefühl. War Viktoria nicht von Beginn an für diesen merkwürdigen langhaarigen Kerl eingetreten? Was wäre, wenn sie es selbst war, die ihm zur Flucht verholfen hatte? Er schüttelte den Kopf, als ob er einen solch abwegigen Gedanken umgehend
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