Schamanenfeuer: Das Geheimnis von Tunguska
loswerden wollte.
»Sollte es sich bei dieser Dame tatsächlich um Doktor Vanderberg handeln«, fuhr er mit leidenschaftlicher Stimme fort, »kann es sich nur um das sogenannte Stockholmsyndrom handeln. Sie wissen schon, diese Geschichte, wenn die Geisel unfreiwillig ein emotionales Gefühl für den Geiselnehmer entwickelt. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass sie aus freien Stücken einem Terroristen zur Flucht verhelfen würde.«
|449| »Auf solch fragwürdige Phänomene nimmt die russische Justiz keine Rücksicht«, erwiderte Pokrovskij unmissverständlich. »Sollte sich herausstellen, dass ihre Kollegin mit Aldanov gemeinsame Sache gemacht hat, könnte sie ernste Probleme bekommen.«
Mit einer Zeitverschiebung von vier Stunden traf Sergej Bashtiri am frühen Nachmittag in Moskau ein. Begleitet von Fjodor ließ der Oligarch sich in einem gepanzerten Mercedes von seinem Fahrer am Flughafen abholen und zu seinem Luxuspenthouse im sechsten Stock eines Gebäudes unweit des Kremls bringen. Eine Stunde später saß er in seinem Jacuzzi und genoss mit einem Wodka-Martini in der Hand den fabelhaften Ausblick über die Moskwa. Doch die rechte Entspannung wollte sich in dem warmen, sprudelnden Wasser nicht einstellen. Erstens fehlte es ihm in seiner überdimensionalen Badewanne an weiblicher Gesellschaft, und zweitens waren seine Probleme längst noch nicht vollkommen gelöst. Mischa und Jurij hatten auf seine Anweisung hin eine Propellermaschine nach Omsk genommen. Er hatte ihnen den Auftrag erteilt, in Omsk den Fernzug N055 von Krasnojarsk nach Moskau zu besteigen und nach Aldanov und seiner deutschen Freundin zu suchen. Für den Fall, dass sie die beiden fanden, hatten sie die Freigabe erhalten, sie leise und vor allem spurlos zu beseitigen.
Oberst Pokrovskij kehrte erst gegen achtzehn Uhr in sein Büro am Lubjanskaja Ploschtschad Nr. 2 zurück, dorthin, wo das Hauptquartier des berüchtigten FSB lag. Zuvor hatte er Vera Leonardowna Schirova und ihren Bruder Michail Leornardowitsch Schenkov, den sie nur Taichin nannte, in einem Mittelklassehotel in der Nähe des Gorki Parks untergebracht. Bevor er die beiden am nächsten Vormittag zu einem Verhör vorladen wollte, musste er sich nochmals mit Doktor Swerew beraten.
Was ihm der Wissenschaftler von GazCom zur Tunguska-Explosion berichtet hatte, klang mehr als bemerkenswert. Aber noch interessanter erschienen ihm die möglichen Fähigkeiten von Leonid Aldanov.
»Sobald wir seiner habhaft werden, müssen wir ihn einer intensiven Untersuchung unterziehen«, erklärte Pokrovskij bestimmt, nachdem |450| Doktor Swerew zu weiteren Gesprächen in seinem Büro Platz genommen hatte. »Ich habe meine Vorgesetzten bereits über Ihre Forschungen informiert. Ein Team von Spezialisten ist auf dem Weg nach Vanavara, um den Bunker und die Umgebung des Sees zu inspizieren. Selbstverständlich werden wir auch nach Spuren des Lagers im Pijaja-Gebirge suchen. Meinen Sie, die beiden Alten könnten ein wenig mehr Licht in die Angelegenheit bringen?«
Doktor Swerew setzte zu einer Antwort an, während eine Sekretärin Kaffee servierte. Erst als sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, ergriff er das Wort. »Soweit ich weiß, streitet die alte Frau jedes Wissen ab. Obwohl sie die Tochter Schenkendorffs ist, will sie von dem vergrabenen Tagebuch angeblich nie etwas gehört haben. Dumm ist, dass es keine weiteren noch lebenden Augenzeugen gibt.«
»Das Ereignis jährt sich dieses Jahr zum einhundertsten Mal«, gab Pokrovskij zu bedenken. »Wen wollen Sie da noch groß fragen?«
»Ich habe in Krasnojarsk noch alte Unterlagen gefunden.« Swerew zuckte ratlos mit den Achseln. »Reise- und Inventarlisten aus dieser Zeit, die der Vernichtung durch die Ochrana kurz vor der Revolution entgangen sind. Vielleicht forschen Sie in Ihren Archiven selbst einmal nach. Möglicherweise finden Sie Spuren eines frühen Waffenexperimentes.«
Pokrovskij sah den Wissenschaftler erstaunt an. »Interessante Empfehlung. Wenn ich ehrlich bin, habe ich bisher noch nicht darüber nachgedacht.«
Gegen Mittag hielt der Fernzug N055 für eine Stunde in Omsk.
»Wenn du mir Geld gibst«, erklärte Leonid schmunzelnd, »kaufe ich uns etwas Warmes zum Essen, das weit besser schmeckt als die Verpflegung im Zug. Außerdem möchte ich mir eine Zeitung besorgen, um zu sehen, ob sich die Fahndung nach uns schon auf ganz Russland erstreckt.«
»Was würde das für einen Unterschied machen?« Viktoria sah
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