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Schamanenfeuer: Das Geheimnis von Tunguska

Schamanenfeuer: Das Geheimnis von Tunguska

Titel: Schamanenfeuer: Das Geheimnis von Tunguska Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina André
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Der Zug hatte mittlerweile an Fahrt gewonnen. Der |455| Wind fuhr Viktoria durch ihr schweißnasses Haar. Kraftvoll öffnete Leonid die Tür zum Transporter. Ajaci stieß ein freudiges Geheul aus, das von einem panischen Geblöke erwidert wurde.
    »Schafe?« Viktoria blinzelte ungläubig.
    Leonid zögerte nicht lange und drängte sie und den Hund in ein Meer von stinkender Wolle.
    Hinter ihnen schloss er die Tür. Während Ajaci die Schafsmeute auf Abstand hielt, spähte Leonid durch die Lüftungsschlitze hinaus auf die Gleise. Zufrieden stellte er fest, dass ihre Verfolger noch immer suchend umherirrten.
    »Die wären wir los«, seufzte er erleichtert. »Und hier findet uns bestimmt niemand.«
    Viktoria sank zu Boden und setzte sich ins schmutzige Stroh.
    »Bist du nicht ausgestiegen, damit wir besseres Essen und angenehmere Nächte haben?« Ihr Blick war anklagend.
    »Was willst du mehr?«, fragte er lächelnd. »Es ist warm, es ist weich, und frische Schafsmilch ist eine Delikatesse.«

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    35
    Mai 1909, Sibirien – Vermisst
    Den ganzen Winter über hatte die Seele des Leonard Schenkendorff seinen Körper verlassen, und kein Schamane konnte sie zurück in die Hülle des Kranken locken. Erst als das Frühjahr kam und der Schnee zu schmelzen begann, kehrte sein altes Leben zurück und mit ihm die Sehnsucht nach seiner wahren Familie.
    »Katja«, war das erste Wort, das er sprach.
    Tschirin und seine Frau schauten sich ängstlich an. Sie würde es ihm nicht sagen können, und wenn doch, würde er es nicht glauben wollen, und so war es einerlei, wann sie nach Süden aufbrachen, um Leonard etwas zu zeigen, dessen Auswirkung auf sein Gemüt noch nicht absehbar war.
    »Nimm zwei starke Männer aus deinem Dorf, wenn du mit ihm ins Pijaja-Gebirge reitest«, riet Tschirins Frau, als er sich anschickte, den |456| Wunsch seines Freundes zu erfüllen. »Damit er sich nicht das Leben nimmt, wenn er erfährt, was wirklich geschehen ist.«
    Tschirin selbst war längst dort gewesen. Im Herbst, nachdem er Leonard als einzigen Überlebenden des Experimentes gerettet hatte, war er zu seinem alten Stamm aufgebrochen. Er wollte nicht nur wissen, was mit seinem Vater geschehen war, er wollte versuchen, mit Hilfe seiner Verwandten Leonards Familie aus den Klauen des Zaren zu retten – eine Frau und ein Kind, von denen er noch nicht einmal eine Beschreibung hatte.
    Als der erste Schnee das verwundete Land bedeckte, war Tschirin von Vanavara aus mit dem Rentierschlitten, begleitet von zwei Freunden, aufgebrochen, um ins Tal ohne Wiederkehr zu gelangen.
    Der Anblick, der sich ihm dort bot, ließ ihm den Atem stocken. Die Baracken hatte man zerstört, und der große Antennenmast war demontiert worden. Die hölzerne Konstruktionshalle war gänzlich verschwunden, und das majestätische Kraftwerk hatte man bis auf die Grundmauern abgebrochen. Kein Rauch lag über dem Tal, und die Menschen, die hier gelebt hatten, schienen wie vom Erdboden verschluckt zu sein.
    »Wage es nicht, noch einmal dorthin zu gehen«, hatte ihm seine Mutter geraten, die ihm auch den Tod des Vaters bestätigt hatte. »Die Dämonen ziehen immer noch über das Land und reißen die Seelen eines jeden mit, der unvorsichtig genug ist, es mit ihnen aufzunehmen. Kaum nachdem das Unglück geschehen war, haben die geheimen Schergen des Zaren damit begonnen, das Gefangenenlager niederzureißen. Man erzählt sich, dass alle erwachsenen Insassen vorher getötet und ihre Kinder verschleppt wurden. Glaub mir!«, flüsterte sie. »Wenn ihre Mörder erfahren sollten, dass wir auch nur das Geringste darüber wissen, werden sie auch uns töten und unsere Zelte dem Erdboden gleichmachen. Deshalb bitte ich dich, kehre zu deiner Familie zurück! Sag niemandem auch nur ein Sterbenswort. Vergiss, was du weißt! Hörst du?«
    Das war einfacher gesagt als getan, und so brach Tschirin am Morgen des 9. Mai 1909 erneut auf, um von Vanavara aus eine Reise ins Land der Dämonen anzutreten.
    Leonard war so schwach, dass er sich kaum auf den Beinen halten |457| konnte, und so saß er eingehüllt in ein dichtes Fell auf dem Schlitten und schaute unentwegt in die milchige Sonne. Seine Miene blieb starr. Seit seiner Rettung konnte er nicht mehr lachen und nicht mehr weinen.
    Als sie das Tal erreichten, in dem er und seine Familie im größten Unglück ein paar glückliche Wochen verbracht hatten, traf es ihn mit unvermuteter Wucht. Der Anblick des völlig zerstörten Lagers ließ alles aus ihm

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