Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schande

Schande

Titel: Schande Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. M. Coetzee
Vom Netzwerk:
sind abgehauen. Die Rechnung ist seit Monaten nicht bezahlt. Ich weiß nicht, was ich mit ihr machen soll. Muß wahrscheinlich versuchen, ein Zuhause für sie zu finden.
      Sie schmollt, aber sonst ist sie in Ordnung. Sie wird jeden Tag ausgeführt. Von mir oder Petrus. Das gehört dazu.«
      »Petrus?«
      »Du wirst ihn kennenlernen. Petrus ist mein neuer Mitarbeiter. Seit März sogar Miteigentümer. Ein ganzer Kerl.«
      Er schlendert mit ihr am Wasserreservoir mit den Lehmwänden vorbei, wo eine Entenfamilie friedlich entlangwatschelt, vorbei an Bienenhäusern und durch den Garten: Blumenbeete und Wintergemüse – Blumenkohl, Kartoffeln, rote Rüben, Mangold, Zwiebeln. Sie besuchen die Pumpe und das Speicherbecken am Rand des Anwesens. In den vergangenen zwei Jahren ist genug Regen gefallen, und der Grundwasserspiegel ist gestiegen.
      Sie redet ungezwungen über diese Dinge. Ein Grenzfarmer der neuen Art. Früher waren es Rinder und Mais, heute Hunde und Narzissen. Je mehr sich die Dinge ändern, desto mehr bleibt alles beim alten. Die Geschichte wiederholt sich, wenn auch in bescheidenerer Art. Vielleicht hat die Geschichte dazugelernt.
      Sie laufen in einer Bewässerungsrinne zurück. Lucys nackte Zehen packen die rote Erde und lassen deutliche Fußabdrücke zurück. Eine robuste Frau, in ihrem neuen Leben fest verankert. Gut! Wenn es das ist, was er hinterläßt – diese Tochter, diese Frau – dann braucht er sich nicht zu schämen.
      »Du brauchst dich nicht um mich zu kümmern«, sagt er, wieder im Haus. »Ich habe meine Bücher mitgebracht.
      Ich brauche nur einen Tisch und einen Stuhl.«
      »Arbeitest du an etwas Bestimmtem«, fragt sie vorsichtig. Seine Arbeit ist kein Thema, über das sie sich oft unterhalten.
      »Ich habe Pläne. Etwas über die letzten Jahre von Byron. Kein Buch, oder nicht die Art Buch, die ich früher geschrieben habe. Eher etwas für die Bühne. Text und Musik. Figuren, die sprechen und singen.«
      »Ich wußte gar nicht, daß du noch Ambitionen in dieser Richtung hast.«
      »Ich dachte, daß ich mir damit einen Wunsch erfüllen würde. Aber dahinter steckt mehr. Man möchte etwas hinterlassen. Oder wenigstens geht das Männern so. Für eine Frau ist das einfacher.«
      »Warum ist es für eine Frau einfacher?«
      »Ich meine, es ist für eine Frau einfacher, etwas Lebendiges zu schaffen.«
      »Zählt es nicht, wenn man Vater ist?«
      »Vater sein ... Ich empfinde nun einmal, daß die Vaterschaft im Vergleich zur Mutterschaft eine ziemlich abstrakte Sache ist. Aber warten wir ab, was kommt.
      Wenn wirklich etwas kommt, dann wirst du die erste sein, die davon hört. Die erste und vielleicht die letzte.«
      »Willst du die Musik selber komponieren?«
      »Die Musik werde ich zum größten Teil ausleihen. Ich habe keine Gewissensbisse, Anleihen zu machen. Am Anfang dachte ich, es wäre ein Thema, das eine ziemlich üppige Orchesterbesetzung verlangte. Wie Strauss etwa.
      Was meine Fähigkeiten überstiegen hätte. Jetzt neige ich zum Gegenteil, zu einer sparsamen Begleitung – Violine, Cello, Oboe oder vielleicht Fagott. Aber alles existiert vorläufig nur als Idee. Ich habe noch keine Note geschrieben – ich bin abgelenkt worden. Du mußt von meinen Schwierigkeiten gehört haben.«
      »Roz hat etwas am Telefon erwähnt.«
      »Wir wollen jetzt nicht darüber sprechen. Ein andermal.«
      »Hast du dich für immer von der Universität verabschiedet?«
      »Ich bin ausgeschieden. Man hat es mir nahegelegt.«
      »Wirst du die Universität vermissen?«
      »Ob ich sie vermissen werde? Ich weiß nicht. Ich habe als Lehrer keine Bäume ausgerissen. Ich mußte feststellen, daß ich bei meinen Studenten immer weniger angekommen bin. Was ich zu sagen hatte, wollten sie nicht hören.
      Daher werde ich die Universität vielleicht nicht vermissen. Vielleicht genieße ich meine wiedergewonnene Freiheit.«
      Ein Mann steht in der Tür, ein großer Mann im blauen Overall, mit Gummistiefeln und einer Wollmütze.
      »Petrus, komm rein, ich möchte dich mit meinem Vater bekannt machen«, sagt Lucy.
      Petrus tritt seine Stiefel ab. Sie geben sich die Hand.
      Ein zerfurchtes, wettergegerbtes Gesicht; schlaue Augen.
      Vierzig? Fünfundvierzig?
      Petrus wendet sich an Lucy. »Das Spray«, sagt er: »Ich wollte das Spray holen.«
      »Es ist im Kombi. Warte hier, ich hole es.«
      Er bleibt mit Petrus zurück. »Sie kümmern sich also um die

Weitere Kostenlose Bücher