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Schande

Schande

Titel: Schande Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. M. Coetzee
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wach ist.
      Was macht er da? Er wacht bei seinem kleinen Mädchen, beschützt sie vor Schaden, vertreibt die bösen Geister. Nach einer langen Weile spürt er, wie sie sich allmählich entspannt. Mit leisem »Blopp« öffnen sich ihre Lippen, dann das allersanfteste Schnarchen.
       
     
      Es ist Morgen. Bev Shaw bereitet ihm ein Frühstück mit Cornflakes und Tee, dann verschwindet sie in Lucys Zimmer.
      »Wie geht es ihr?« fragt er, als sie zurückkommt.
      Bev Shaw antwortet nur mit einem knappen Kopfschütteln. Geht dich nichts an, scheint sie zu sagen. Menstruation, Gebären, Vergewaltigung und ihre Nachwirkungen – Dinge des Blutes; Bürde einer Frau, Domäne der Frauen.
      Nicht zum ersten Mal fragt er sich, ob Frauen nicht glücklicher wären, wenn sie in Frauengemeinschaften lebten und Besuche von Männern nur gestatteten, wenn es ihnen paßte. Vielleicht irrt er sich, wenn er Lucy für lesbisch hält. Vielleicht ist sie nur lieber in weiblicher Gesellschaft. Oder vielleicht ist das alles, was über Lesbierinnen zu sagen ist: Frauen, die Männer nicht brauchen.
      Kein Wunder, daß sie so leidenschaftlich gegen Vergewaltigung sind, sie und Helen. Vergewaltigung, Gott des Chaos und der Vermischung, Verletzer der Privatsphäre.
      Eine lesbische Frau zu vergewaltigen ist schlimmer, als eine Jungfrau zu vergewaltigen – eine tiefere Verletzung.
      Wußten sie, was sie taten, diese Männer? Hatte es sich herumgesprochen?
      Um neun, nachdem Bill Shaw zur Arbeit gegangen ist, klopft er an Lucys Tür. Sie liegt mit dem Gesicht zur Wand. Er setzt sich neben sie und berührt ihre Wange. Sie ist tränenfeucht.
      »Es ist nicht leicht, darüber zu reden«, sagt er, »aber bist du beim Arzt gewesen?«
      Sie setzt sich hin und schneuzt sich. »Ich war gestern bei meinem Hausarzt.«
      »Und er kümmert sich um alle Eventualitäten?«
      »Sie«, sagt sie. »Sie, nicht er. Nein« – und jetzt klang ihre Stimme brüchig vor Ärger –, »wie soll sie auch? Wie soll ein Arzt sich um alle Eventualitäten kümmern? Überleg doch mal!«
      Er steht auf. Wenn sie gereizt sein will, dann kann er auch gereizt sein. »Tut mir leid, daß ich gefragt habe«, sagt er. »Was für Pläne haben wir für heute?«
      »Pläne? Zurück zur Farm und aufräumen.«
      »Und dann?«
      »Dann weiter wie bisher.«
      »Auf der Farm?«
      »Natürlich. Auf der Farm.«
      »Sei vernünftig, Lucy. Alles hat sich geändert. Wir können nicht einfach dort weitermachen, wo wir aufgehört haben.«
      »Warum nicht?«
      »Weil das keine gute Idee ist. Weil es nicht sicher ist.«
      »Es war nie sicher, und es ist keine Idee, gut oder schlecht. Ich gehe nicht wegen einer Idee zurück. Ich gehe einfach zurück.«
      In ihrem geborgten Nachthemd sitzt sie da und bietet ihm die Stirn, der Hals ist steif, die Augen glitzern. Nicht Vaters kleines Mädchen, nicht mehr.
 

  13. Kapitel
 
      Bevor sie losfahren, muß bei ihm noch der Verband gewechselt werden. In dem engen kleinen Badezimmer wickelt Bev Shaw die Binden ab. Das Auge ist noch immer zugeschwollen, und auf seiner Kopfhaut haben sich Blasen gebildet, aber es hätte schlimmer kommen können. Am meisten schmerzt ihn der Rand des rechten Ohrs – das ist der einzige Teil von ihm, wie es die junge Ärztin ausgedrückt hat, der wirklich Feuer gefangen hat.
      Mit einer sterilen Lösung wäscht Bev die entblößte rosa Unterhaut auf dem Kopf, dann legt sie mit Hilfe einer Pinzette den öliggelben Verband darüber. Vorsichtig salbt sie die Falten des Augenlids und sein Ohr. Beim Arbeiten spricht sie nicht. Ihm fällt der Ziegenbock in der Klinik ein, und er fragt sich, ob er unter ihren Händen den gleichen Frieden empfunden hat.
      »So«, sagt sie schließlich und tritt zurück.
      Er betrachtet sein Spiegelbild mit der sauberen weißen Kappe und dem abgedeckten Auge. »Picobello«, bemerkt er, doch er denkt: Wie eine Mumie.
      Er versucht erneut, das Thema Vergewaltigung zur Sprache zu bringen. »Lucy hat gesagt, daß sie gestern abend bei ihrer Ärztin gewesen ist.«
      »Ja.«
      »Es besteht die Gefahr einer Schwangerschaft«, drängt er weiter. »Es besteht die Gefahr einer Geschlechtskrankheit. Es besteht die Gefahr von HIV. Sollte sie nicht auch zum Gynäkologen?«
       
     
      Bev Shaw rutscht unruhig hin und her. »Das müssen Sie Lucy selbst fragen.«
      »Ich habe sie gefragt. Ich werde nicht aus ihr schlau.«
      »Fragen Sie noch mal.«
     

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