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Schande

Schande

Titel: Schande Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. M. Coetzee
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Auto verloren«, sagt er. »Und natürlich die Hunde, alle bis auf einen. Nein, meiner Tochter geht es gut, sie fühlt sich nur heute nicht besonders. Nein, wir machen uns keine Hoffnung, die Polizei ist überlastet, wie Sie sicherlich selbst wissen. Ja, ich richte es ihr bestimmt aus.«
      Er liest ihre Geschichte, wie sie im Herold berichtet wird. Unbekannte Angreifer werden die Männer genannt.
      »Drei unbekannte Angreifer haben Frau Lucy Lourie und ihren älteren Vater auf ihrer kleinen Farm in der Nähe von Salem überfallen und haben sich mit Bekleidung, elektronischen Geräten und einem Gewehr aus dem Staub gemacht. Aus einer bizarren Anwandlung heraus erschossen die Räuber auch sechs Wachhunde, ehe sie in einem 1993er Toyota Corolla, polizeiliches Kennzeichen CA 507644, entkamen. Mr. Lourie, der während des Überfalls leicht verletzt wurde, wurde im Settiers Hospital ambulant behandelt.«
      Er ist froh, daß man keine Verbindung herstellt zwischen Ms. Louries älterem Vater und David Lurie, Anhänger des Naturdichters William Wordsworth und bis vor kurzem Professor an der Technischen Universität von Kapstadt.
      Was das eigentliche Geschäft angeht, gibt es wenig für ihn zu tun. Petrus ist es, der schnell und tüchtig ihre Waren ausbreitet, der die Preise kennt, das Geld entgegennimmt, das Wechselgeld herausgibt. Eigentlich ist es Petrus, der die Arbeit tut, während er dasitzt und sich die Hände wärmt. Wie in alten Zeiten: baas en Klaas (Herr und Knecht). Nur daß er sich nicht anmaßt, Petrus Befehle zu geben. Petrus tut, was getan werden muß, das ist alles.
      Trotzdem sind ihre Einnahmen geringer – nicht einmal dreihundert Rand. Der Grund dafür ist Lucys Abwesenheit, daran gibt es keinen Zweifel. Kartons mit Blumen, Säcke mit Gemüse müssen wieder im Kombi verstaut werden. Petrus schüttelt den Kopf. »Nicht gut«, sagt er.
      Bisher hat Petrus keine Erklärung für seine Abwesenheit angeboten. Petrus hat das Recht, ganz nach Belieben zu kommen und zu gehen; dieses Recht hat er in Anspruch genommen; es ist seine Sache, wenn er schweigt.
      Doch es bleiben Fragen. Weiß Petrus, wer die Fremden waren? War irgendeine Bemerkung, die Petrus fallengelassen hatte, dafür verantwortlich, daß sie Lucy aufs Korn genommen hatten, statt zum Beispiel Ettinger? Wußte Petrus vorher, was sie vorhatten?
      Früher hätte man Petrus zur Rede stellen können. Früher hätte man ihn zur Rede stellen können bis dahin, daß man die Beherrschung verlor, ihn fortschickte und einen anderen für ihn einstellte. Aber obwohl Petrus Lohn bekommt, ist Petrus genaugenommen kein Lohnarbeiter mehr. Schwer zu sagen, was Petrus nun genaugenommen ist. Das Wort, was es am besten zu treffen scheint, heißt jedoch Nachbar. Petrus ist ein Nachbar, der zur Zeit zufällig seine Arbeitskraft verkauft, weil ihm das so paßt. Er verkauft seine Arbeitskraft auf der Basis eines Vertrags, eines ungeschriebenen Vertrags, und dieser Vertrag enthält keine Klausel, daß er wegen eines Verdachts entlassen werden kann. Sie leben in einer neuen Welt, er und Lucy und Petrus. Petrus weiß das, und er weiß das, und Petrus weiß, daß er es weiß.
      Dessenungeachtet fühlt er sich wohl in Petrus’ Gegenwart, ist sogar bereit, wie vorsichtig auch immer, ihn zu mögen. Petrus ist ein Mann seiner eigenen Generation.
      Ohne Zweifel hat er eine Menge durchgemacht, ohne Zweifel hat er etwas zu erzählen. Er hätte nichts dagegen, sich eines Tages Petrus’ Geschichte anzuhören. Aber lieber nicht aufs Englische reduziert. Er ist immer mehr davon überzeugt, daß Englisch ein ungeeignetes Medium für die Wahrheit Südafrikas ist. Teile des Codes der englischen Sprache, ganze Sätze, haben sich verdunkelt, haben ihre gedankliche Artikulation verloren, ihre Verständlichkeit, ihre Klarheit. Wie ein Dinosaurier, der den Geist aufgibt und im Schlamm versinkt, ist die Sprache erstarrt. In die Form des Englischen gepreßt, würde Petrus’ Geschichte arthritisch wirken, längst vergangen.
      Was ihm an Petrus gefällt, ist sein Gesicht, sein Gesicht und seine Hände. Wenn es so etwas wie ehrliche schwere Arbeit gibt, dann ist Petrus davon gezeichnet. Ein Mann voller Geduld und Tatkraft, der sich nicht unterkriegen läßt. Ein Bauer, ein paysan, ein Landmann. Ein Pläneschmied und Ränkeschmied und bestimmt auch ein Lügner, wie Bauern überall. Ehrliche Arbeit und ehrliche Bauernschläue.
      Er hat seine eigenen Vermutungen, was Petrus auf

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