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Schande

Schande

Titel: Schande Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. M. Coetzee
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lange Sicht vorhat. Petrus wird sich nicht damit zufriedengeben, ewig seine anderthalb Hektar Land zu pflügen.
      Lucy mag ja ausdauernder gewesen sein als ihre Hippie- und Zigeunerfreunde, aber für Petrus ist Lucy immer noch nicht ernst zu nehmen – eine Amateurbäuerin, eher eine, die sich für das bäuerliche Leben begeistert, als eine echte Bäuerin. Petrus würde gern Lucys Land übernehmen. Danach hätte er auch gern Ettingers Land, oder genug davon, um eine Herde darauf zu halten. Ettinger wird eine härtere Nuß für ihn sein. Lucy ist nur vorübergehend hier; Ettinger ist auch Bauer, ein Mann der Scholle, zäh, eingewurzelt. Aber Ettinger wird irgendwann sterben, und Ettingers Sohn ist geflohen. In dieser Beziehung ist Ettinger töricht gewesen. Ein guter Bauer sorgt dafür, daß er viele Söhne hat.
      Petrus hat ein Bild von der Zukunft, in dem Menschen wie Lucy keinen Platz haben. Aber das muß nicht unbedingt einen Feind aus Petrus machen. Das Leben auf dem Land ist immer so abgelaufen, daß Nachbarn einander spinnefeind waren, einander Ungeziefer, schlechte Ernten, finanziellen Ruin gewünscht haben und doch in einer Krise bereit waren, sich zu helfen.
      Die schlimmste, die finsterste Interpretation wäre, daß Petrus die drei Männer angeheuert hätte, um Lucy eine Lehre zu erteilen, und sie mit der Beute bezahlt hätte.
      Aber er kann das nicht glauben, es wäre zu einfach. Die Wahrheit, vermutet er, ist in Wirklichkeit viel – er sucht nach dem richtigen Wort – anthropologischer; um ihr auf den Grund zu kommen, würde man Monate brauchen, Monate geduldiger, gemächlicher Gespräche mit Dutzenden von Leuten, und die Dienste eines Dolmetschers.
      Andererseits glaubt er fest, Petrus hat gewußt, daß etwas im Busch war; er glaubt fest, Petrus hätte Lucy warnen können. Deshalb will er das Thema nicht fallenlassen.
      Deshalb fängt er Petrus gegenüber immer wieder davon an.
      Petrus hat das betonierte Wasserreservoir abgelassen und befreit es jetzt von Algen. Es ist eine unangenehme Arbeit. Trotzdem bietet er seine Hilfe an. Er zwängt die Füße in Lucys Gummistiefel und klettert in das Becken, vorsichtig bewegt er sich auf dem rutschigen Boden. Eine Weile arbeiten er und Petrus zusammen, sie kratzen, schrubben und schaufeln den Schlamm hinaus. Dann hört er plötzlich auf.
      »Wissen Sie was, Petrus«, sagt er, »ich kann kaum glauben, daß die Männer, die hierhergekommen sind, Fremde waren. Ich kann kaum glauben, daß sie aus dem Nichts aufgetaucht sind, getan haben, was sie taten, und hinterher wie die Geister verschwunden sind. Und ich kann kaum glauben, daß sie uns einfach deshalb vorgenommen haben, weil wir die ersten Weißen waren, auf die sie an diesem Tag gestoßen sind. Was meinen Sie? Habe ich nicht recht?«
      Petrus raucht eine Pfeife, eine altmodische Pfeife mit einem gebogenen Stiel und einem kleinen silbernen Deckel auf dem Kopf. Jetzt streckt er den Rücken, nimmt die Pfeife aus der Tasche seines Overalls, klappt den Deckel hoch, stopft den Tabak tiefer in den Kopf, zieht an der kalten Pfeife. Er starrt nachdenklich über den Beckenrand, über die Hügel, über das offene Land. Seine Miene ist völlig ruhig.
      »Die Polizei muß sie finden«, sagt er schließlich. »Die Polizei muß sie finden und sie ins Gefängnis stecken. Das ist Aufgabe der Polizei.«
      »Aber die Polizei wird sie ohne Hilfe nicht finden.
      Diese Männer wußten Bescheid über das Forstamt. Ich bin überzeugt, daß sie von Lucy wußten. Wie hätten sie das wissen können, wenn sie in dieser Gegend völlig fremd gewesen wären?«
      Petrus zieht es vor, das nicht als Frage zu verstehen.
      Er steckt seine Pfeife in die Tasche, nimmt statt des Spatens den Besen zur Hand.
      »Es war kein einfacher Diebstahl, Petrus«, läßt er nicht locker. »Sie sind nicht nur gekommen, um zu stehlen. Sie sind nicht nur gekommen, um das mit mir zu machen.« Er berührt den Verband, berührt die Augenklappe. »Sie sind gekommen, um noch etwas anderes zu tun. Sie wissen, was ich meine, oder wenn Sie’s nicht wissen, dann können Sie es sich bestimmt denken. Nachdem sie das nun getan haben, können Sie nicht erwarten, daß Lucy ihr Leben ruhig weiterführt wie bisher. Ich bin Lucys Vater.
      Ich will, daß diese Männer gefaßt, vor Gericht gestellt und verurteilt werden. Habe ich nicht recht? Habe ich nicht recht, wenn ich Gerechtigkeit will?«
      Es ist ihm jetzt egal, wie er die Worte aus Petrus

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