Schande
herausbekommt, er will sie einfach hören.
»Ja, Sie haben recht.«
Jäher Zorn erfaßt ihn, stark genug, um ihn zu überraschen. Er nimmt seinen Spaten und löst gewaltsam ganze Streifen von Schlamm und Algen vom Beckengrund und schleudert sie über die Schulter, über den Rand. Du steigerst dich in Wut hinein, ermahnt er sich: Hör auf! Aber in diesem Augenblick würde er Petrus am liebsten bei der Kehle packen. Wenn es deine Frau statt meiner Tochter gewesen wäre, würde er gern zu Petrus sagen, dann würdest du nicht deine Pfeife ausklopfen und die Worte so vorsichtig wählen.
Schändung – dieses Wort würde er Petrus gern entreißen.
Ja, es war eine Schändung, möchte er Petrus sagen hören; ja, es war ein Verbrechen.
Schweigend bringen er und Petrus die Arbeit Seite an Seite zu Ende.
So vergehen seine Tage auf der Farm. Er hilft Petrus, das Bewässerungssystem zu reinigen. Er sorgt dafür, daß der Garten nicht ruiniert wird. Er packt Waren für den Markt ab. Er hilft Bev Shaw in der Klinik. Er kehrt die Fußböden, kocht das Essen, macht alles, was Lucy nicht mehr macht. Er ist von früh bis spät beschäftigt.
Sein Auge heilt erstaunlich schnell, nach nur einer Woche kann er es wieder benutzen. Bei den Verbrennungen dauert es länger. Er behält den Kopfverband und den Verband über dem Ohr. Das ungeschützte Ohr sieht aus wie eine rosa Nacktschnecke; er weiß nicht, wann er sich trauen wird, es den Blicken anderer auszusetzen.
Er kauft sich einen Hut, um sich vor der Sonne zu schützen und bis zu einem gewissen Grad auch um sein Gesicht zu verstecken. Er versucht, sich daran zu gewöhnen, daß er seltsam aussieht, schlimmer als seltsam, abstoßend – eine der bemitleidenswerten Kreaturen, die von Kindern auf der Straße angestarrt werden. »Warum sieht der Mann so komisch aus?« fragen sie ihre Mütter und müssen zum Schweigen gebracht werden.
In die Geschäfte von Salem geht er so selten er kann, nach Grahamstown nur samstags. Ganz plötzlich ist er zum Einsiedler geworden, zum Einsiedler auf dem Land.
Das Umherstreifen hat ein Ende. Lebt auch die Liebe noch immer, glänzt auch des Mondes Licht [11]. Wer hätte geglaubt, daß es so bald und so plötzlich ein Ende haben würde: das Umherstreifen, die Liebe!
Er hat keinen Grund anzunehmen, daß ihr Mißgeschick die Gerüchteküche in Kapstadt erreicht hat. Trotzdem will er sichergehen, daß Rosalind die Geschichte nicht in entstellter Form hört. Zweimal versucht er, sie anzurufen, ohne Erfolg. Das dritte Mal ruft er bei dem Reisebüro an, wo sie arbeitet. Rosalind ist in Madagaskar, wird ihm mitgeteilt, auf Erkundungstour; man gibt ihm die Faxnummer eines Hotels in Antananarivo.
Er verfaßt einen Bericht: »Lucy und ich hatten Pech.
Mein Auto ist gestohlen worden, und es ist auch zu Tätlichkeiten gekommen, bei denen ich etwas ramponiert wurde. Nichts Schlimmes – uns geht es soweit gut, obwohl wir etwas mitgenommen sind. Dachte, ich sollte dir das mitteilen, falls es Gerüchte gibt. Hoffe, daß du eine schöne Zeit hast.« Er zeigt das Blatt Lucy, um ihr Einverständnis zu bekommen, dann gibt er es Lucy mit der Bitte, es abzusenden. An Rosalind im tiefsten Afrika.
Lucys Zustand bessert sich nicht. Sie bleibt die ganze Nacht auf und behauptet, sie könne nicht schlafen; dann findet er sie nachmittags schlafend auf dem Sofa, den Daumen im Mund wie ein Kind. Sie hat das Interesse am Essen verloren – er ist es, der sie zum Essen überreden muß, indem er ihm unbekannte Gerichte kocht, weil sie kein Fleisch anrühren will.
Dazu ist er nicht hergekommen – um hier am Ende der Welt festzusitzen, Dämonen abzuwehren, seine Tochter zu pflegen, sich um ein sterbendes Unternehmen zu kümmern. Wenn er irgendeinen Grund hatte, herzukommen, dann den, sich zu sammeln, Kräfte zu sammeln.
Hier geht ihm Tag für Tag ein Stück von sich selbst verloren.
Auch ihn verschonen die Dämonen nicht. Er hat seine eigenen Alpträume, in denen er sich in einem blutbesudelten Bett wälzt oder keuchend, lautlos schreiend vor dem Mann mit dem Habichtsgesicht, dem Beninmaskengesicht, dem Thot-Kopf flieht. Eines Nachts, halb traumwandelnd, halb verrückt, zieht er sein eigenes Bett ab, dreht sogar die Matratze um, sucht nach Flecken.
Da ist noch das Byron-Projekt. Von seinen aus Kapstadt mitgebrachten Büchern sind nur noch zwei Bände mit Briefen da – der Rest war im Kofferraum
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