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Schande

Schande

Titel: Schande Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. M. Coetzee
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des gestohlenen Autos. Die Stadtbibliothek in Grahamstown hat nichts zu bieten außer Auswahlbänden der Gedichte. Aber muß er noch mehr lesen? Was muß er noch mehr wissen darüber, wie Byron und seine Bekannte ihre Zeit im alten Ravenna zubrachten? Kann er nicht mittlerweile einen Byron erfinden, der Byron gerecht wird, und auch eine Teresa?
      Er hat ihn, um ehrlich zu sein, seit Monaten vor sich hergeschoben – den Augenblick, an dem er die leere Seite vor sich hat, die erste Note anschlagen muß, sehen muß, was sie taugt. In seinem Kopf existieren schon ein paar Takte der Liebesleute im Duett, die Gesangsstimmen, Sopran und Tenor, die sich wie Schlangen wortlos umeinander und aneinander vorbei winden. Melodie ohne Höhepunkt; das Rascheln der Schlangenschuppen auf Marmortreppen; und im Hintergrund dröhnend der Bariton des gedemütigten Ehemanns. Wird hier das dunkle Trio endlich zum Leben erweckt – nicht in Kapstadt, sondern im alten Kaffraria?

  15. Kapitel
 
      Die beiden jungen Schafe sind den ganzen Tag neben dem Stall auf einem nackten Fleck Erde angebunden. Ihr Geblöke, unablässig und monoton, hat angefangen, ihn zu stören. Er schlendert zu Petrus hinüber, der sein Fahrrad umgedreht hat und sich daran zu schaffen macht. »Die Schafe da«, sagt er – »meinen Sie nicht, wir könnten sie irgendwo anbinden, wo sie grasen können?«
      »Sie sind für das Fest«, sagt Petrus. »Am Samstag schlachte ich sie für das Fest. Sie müssen mit Lucy kommen.« Er wischt sich die Hände ab. »Ich lade Sie und Lucy zu meinem Fest ein.«
      »Am Samstag?«
      »Ja, ich gebe ein Fest am Samstag. Ein großes Fest.«
      »Danke. Aber selbst wenn die Schafe für das Fest sind, finden Sie nicht auch, daß sie grasen könnten?«
      Eine Stunde später sind die Schafe immer noch festgebunden und blöken immer noch kläglich. Petrus ist nirgends zu sehen. Am Ende seiner Geduld angelangt, bindet er sie los und zerrt sie zum Wasserreservoir, wo es reichlich Gras gibt.
      Die Schafe trinken ausgiebig und beginnen dann gemächlich zu grasen. Es sind Karakulschafe mit schwarzen Gesichtern, in Größe, Zeichnung und sogar in ihren Bewegungen identisch. Höchstwahrscheinlich Zwillinge, von Geburt an für das Messer des Schlächters bestimmt.
      Daran ist nichts Besonderes. Wann ist ein Schaf das letztemal an Altersschwäche gestorben? Schafe gehören sich nicht selbst, ihr Leben gehört ihnen nicht. Sie sind da, um genutzt zu werden, jedes Stück von ihnen bis zum letzten Quentchen, ihr Fleisch, um gegessen zu werden, ihre Knochen, um zermahlen und an das Geflügel verfüttert zu werden. Nichts entgeht der Verwertung, außer vielleicht die Gallenblase, die niemand essen will. Descartes hätte daran denken sollen. Die Seele in ihrem Versteck in der dunklen, bitteren Galle.
      »Petrus hat uns zu einem Fest eingeladen«, sagt er zu Lucy. »Warum veranstaltet er ein Fest?«
      »Wegen der Landüberschreibung, denke ich mir. Sie wird am Ersten des kommenden Monats amtlich bestätigt.
      Das ist ein großer Tag für ihn. Wir sollten uns wenigstens sehen lassen, ihnen ein Geschenk bringen.«
      »Er wird die beiden Schafe schlachten. Wenn du mich fragst, reichen zwei Schafe nicht weit.«
      »Petrus ist ein Pfennigfuchser. Früher wäre ein Ochse fällig gewesen.«
      »Mir will nicht gefallen, wie er an die Dinge herangeht – bringt die Schlachttiere mit nach Hause, um sie mit den Menschen bekannt zu machen, die sie essen werden.«
      »Was wäre dir denn lieber? Wenn das Schlachten in einem Schlachthof erledigt würde, damit du nicht daran denken brauchst?«
      »Ja.«
      »Wach auf, David. Wir sind auf dem Land. Das ist Afrika.«
      Lucy hat sich neuerdings einen bissigen Ton angewöhnt, für den er keinen Grund sieht. Gewöhnlich reagiert er darauf, indem er sich zurückzieht und schweigt.
      Zeitweise sind die beiden wie Fremde im selben Haus.
       
     
      Er sagt sich, daß er geduldig sein muß, daß Lucy noch im Schatten des Überfalls lebt, daß Zeit vergehen muß, ehe sie wieder zu sich findet. Aber wenn er sich nun irrt?
      Was, wenn man nach einem solchen Überfall niemals wieder zu sich findet? Was, wenn ein solcher Überfall zur Folge hat, daß man ein ganz anderer, viel düstererer Mensch wird?
      Es gibt eine noch schlimmere Erklärung für Lucys Launenhaftigkeit, und er kann sie nicht aus seinen Gedanken verbannen. »Lucy«, fragt er am selben Tag ganz unvermittelt, »du verheimlichst

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