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Schande

Schande

Titel: Schande Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. M. Coetzee
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mir doch nichts? Du hast dir doch nicht etwa bei den Männern was geholt?«
      Sie sitzt in Schlafanzug und Morgenmantel auf dem Sofa und spielt mit der Katze. Mittag ist vorbei. Die Katze ist jung, munter, übermütig. Lucy läßt den Mantelgürtel vor ihrer Nase baumeln. Die Katze schlägt danach, schnelle, leichte Schläge mit der Pfote, eins-zwei-drei-vier.
      »Männer?« sagt sie. »Welche Männer?« Sie schleudert den Gürtel zur Seite; die Katze springt danach.
      Welche Männer? Sein Herz setzt aus. Ist sie verrückt geworden? Will sie sich nicht erinnern?
      Aber es hat den Anschein, als ziehe sie ihn nur auf.
      »David, ich bin kein Kind mehr. Ich bin beim Arzt gewesen, ich habe Untersuchungen hinter mich gebracht, ich habe alles getan, was man vernünftigerweise tun kann.
      Jetzt kann ich nur noch abwarten.«
      »Aha. Und mit abwarten meinst du, warten auf du weißt schon was?«
      »Ja.«
      »Wie lang wird das dauern?«
      Sie zuckt mit den Schultern. »Einen Monat. Drei Monate. Länger. Die Wissenschaft hat noch keine Grenze festgelegt, wie lange man warten muß. Vielleicht für immer.«
      Die Katze macht einen Satz nach dem Gürtel, aber das Spiel ist nun vorbei.
      Er setzt sich neben seine Tochter; die Katze springt vom Sofa, stolziert davon. Er nimmt Lucys Hand. So dicht neben ihr sitzend, stellt er jetzt fest, daß sie leicht muffig und ungewaschen riecht. »Wenigstens wird es nicht für immer sein, meine Kleine«, sagt er. »Wenigstens wird dir das erspart.«
       
     
      Die Schafe bleiben den restlichen Tag beim Reservoir, wo er sie angepflockt hat. Am nächsten Morgen sind sie wieder auf dem kahlen Fleck neben dem Stall.
      Ihnen bleiben wohl noch zwei Tage, bis Samstag morgen. Das scheint eine elende Art, die letzten zwei Tage seines Lebens zu verbringen. Auf dem Land ist das so Brauch – sagt Lucy dazu. Er hat andere Worte dafür: Gleichgültigkeit, Hartherzigkeit. Wenn das Land über die Stadt urteilen kann, dann kann die Stadt auch über das Land urteilen.
      Er hat erwogen, Petrus die Schafe abzukaufen. Aber was wäre damit gewonnen? Petrus wird das Geld nur benutzen, um andere Schlachttiere zu kaufen, und den Rest einstecken. Und was will er denn mit den Schafen anfangen, wenn er sie aus der Sklaverei freigekauft hat?
      Sie auf der Landstraße freilassen? Sie in die Hundekäfige stecken und mit Heu futtern?
      Zwischen ihm und den beiden Karakulschafen hat sich eine Bindung entwickelt, er weiß nicht, wie. Die Bindung beruht nicht auf Zuneigung. Es ist nicht einmal eine Bindung speziell an diese beiden Tiere, die er aus einer Herde auf der Weide nicht herausfinden könnte. Trotzdem ist ihm ihr Schicksal plötzlich und grundlos wichtig geworden.
      Er steht vor ihnen, unter der Sonne, wartet darauf, daß sich das Schwirren in seinem Schädel legt, wartet auf ein Zeichen.
      Eine Fliege versucht, in das Ohr des einen Schafs zu kriechen. Das Ohr zuckt. Das Insekt fliegt auf, kreist, kehrt zurück, läßt sich nieder. Das Ohr zuckt wieder.
      Er macht einen Schritt nach vorn. Das Schaf weicht ängstlich zurück, soweit es die Kette zuläßt.
      Ihm kommt in den Sinn, wie sich Bev Shaw an den alten Ziegenbock mit den lädierten Hoden geschmiegt hat, ihn streichelnd, ihn tröstend und so in sein Leben tretend. Wie gelingt ihr das, diese Gemeinschaft mit Tieren? Ein Trick, den er nicht beherrscht. Man muß vielleicht ein besonderer Typ Mensch sein, weniger kompliziert.
      Die Sonne brennt ihm mit ihrer ganzen Frühlingskraft ins Gesicht. Muß ich mich ändern? fragt er sich. Muß ich werden wie Bev Shaw?
      Er redet mit Lucy. »Ich habe mir Gedanken über dieses Fest von Petrus gemacht. Alles in allem möchte ich lieber nicht hingehen. Geht das, ohne ihn zu beleidigen?«
      »Hat das was mit seinen Schlacht-Schafen zu tun?«
      »Ja. Nein. Ich habe meine Ansichten nicht geändert, wenn du das meinst. Ich glaube immer noch nicht, daß Tiere wirklich ein individuelles Leben haben. Welche von ihnen leben dürfen, welche sterben müssen, darüber lohnt es nicht, sich den Kopf zu zermartern, wenn du mich fragst. Trotzdem ...«
      »Trotzdem?«
       
     
      »Trotzdem stört mich in diesem Fall etwas. Ich kann nicht sagen, warum.«
      »Nun, Petrus und seine Gäste werden ganz bestimmt nicht auf ihre Lammkeulen verzichten, um auf dich und deine Gefühle Rücksicht zu nehmen.«
      »Das verlange ich ja nicht. Ich würde nur lieber nicht mitmachen, diesmal nicht.

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