Schande
brauchen, ehe ich mich eingewöhne.
Ich rassele wie eine Erbse in einer Flasche im Haus herum. Die Enten fehlen mir.«
Die Plünderung des Hauses erwähnt er nicht. Was soll er Lucy mit seinen Sorgen belasten?
»Und Petrus?« fragt er. »Hat sich Petrus um dich gekümmert, oder steckt er noch voll in seinem Hausbau?«
»Petrus hat mir geholfen. Alle waren so hilfsbereit.«
»Ich kann jederzeit zurückkommen, wenn du mich brauchst. Ein Wort von dir genügt.«
»Vielen Dank, David. Im Augenblick vielleicht nicht, aber demnächst einmal.«
Wer hätte damals, als sein Kind geboren wurde, gedacht, daß er eines Tages angekrochen kommen und sie bitten würde, ihn aufzunehmen?
Als er im Supermarkt einkauft, steht er unversehens hinter Elaine Winter, der Direktorin seines einstigen Fachbereichs, in der Schlange. Ihre Einkäufe füllen einen ganzen Einkaufswagen, seine nur einen Korb. Nervös erwidert sie seinen Gruß.
»Und wie kommt der Fachbereich ohne mich zurecht?« fragt er so fröhlich er kann.
Wirklich sehr gut – das wäre die ehrlichste Antwort: Wir kommen sehr gut ohne dich zurecht. Aber sie ist zu höflich, um das zu sagen. »Ach, wir wurschteln uns wie immer durch«, antwortet sie ausweichend.
»Habt ihr jemand einstellen können?«
»Wir haben einen neuen Mitarbeiter, auf der Basis eines Lehrauftrags. Einen jungen Mann.«
Ich bin ihm begegnet, könnte er antworten. Ein richtiges kleines Arschloch, könnte er hinzufugen. »Was ist seine Spezialstrecke?« fragt er statt dessen.
»Angewandte Sprachwissenschaft. Sein Gebiet ist Fremdsprachenerwerb.«
So viel zu den Dichtern, so viel zu den toten Meistern.
Die ihn nicht gut geleitet haben, das muß er sagen. Oder vielmehr, auf die er nicht richtig gehört hat.
Die Frau vor ihnen in der Schlange nimmt sich Zeit beim Bezahlen. Es bleibt noch Raum für Elaine, die nächste Frage zu stellen, die sein sollte: Und wie kommst du zurecht, David? Und für ihn, um zu antworten: Sehr gut, Elaine, sehr gut.
»Willst du nicht vorrücken?« schlägt sie statt dessen vor und zeigt auf seinen Korb. »Du hast so wenig.«
»Würde mir nicht im Traum einfallen, Elaine«, erwidert er, und es macht ihm dann einigen Spaß, sie dabei zu beobachten, wie sie ihre Einkäufe auf das Band lädt: nicht nur Dinge wie Brot und Butter, sondern auch die kleinen Extras, mit denen sich eine alleinstehende Frau verwöhnt – extrasahnige Eiskrem (echte Mandeln, echte Rosinen), importierte italienische Kekse, Schokoladenriegel – dazu noch eine Packung Damenbinden.
Sie zahlt per Kreditkarte. Von der anderen Seite der Sperre winkt sie ihm zum Abschied zu. Sie ist offenkundig erleichtert. »Auf Wiedersehen!« ruft er über den Kopf der Kassiererin hinweg. »Grüße alle von mir!« Sie schaut sich nicht um.
Zuerst waren als Mittelpunkt der Oper Lord Byron und seine Geliebte, die Contessa Guiccioli, geplant gewesen.
In der drückenden Sommerhitze von Ravenna in der Villa Guiccioli gefangen, von Teresas eifersüchtigem Mann belauert, streifen die beiden durch die düsteren Salons und singen von ihrer behinderten Leidenschaft. Teresa fühlt sich als Gefangene; sie ist erfüllt von Groll und bedrängt Byron, sie in ein anderes Leben zu entführen.
Byron seinerseits ist voller Zweifel, doch zu klug, um sie laut werden zu lassen. Ihre frühen Ekstasen werden sich nie wiederholen, mutmaßt er. Sein Leben ist ruhiger geworden; insgeheim beginnt er sich nach einem stillen Ruhestand zu sehnen; und wenn das nicht möglich ist, nach der Apotheose, nach dem Tod. Teresas himmelstürmende Arien entzünden keinen Funken in ihm; seine eigene Partie, dunkel, verschlungen, geht an ihr vorbei, durch sie hindurch, über sie hinweg.
So hat er es geplant: als ein Kammerspiel von Liebe und Tod, mit einer leidenschaftlichen jungen Frau und einem einst leidenschaftlichen, aber nun abgekühlten älteren Mann; als Handlung mit einer komplexen, ruhelosen musikalischen Untermalung, gesungen in einem Englisch, das sich ständig einem gedachten Italienisch nähert.
Formal gesehen ist der Plan nicht schlecht. Die Charaktere balancieren sich gut aus: das gefangene Paar, die abgelegte Geliebte, die an die Fenster hämmert, der eifersüchtige Ehemann. Auch die Villa, mit Byrons träge von den Kronleuchtern herabhängenden zahmen Affen und den zwischen den prunkvollen neapolitanischen Möbeln auf
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