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Schandtat

Titel: Schandtat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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tun?«
    Ich warf dem Mädchen, das die Papiere sortierte, einen Blick zu, dann ging ich weiter in den Raum hinein. »Na ja, ich hab darüber nachgedacht, was Sie neulich gesagt haben. Über das Singen.«
    Sie nickte. »Ja?«
    Das Bild von Anna Conrad blitzte in meinem Kopf auf, und ich lächelte. »Ich nehme die Solistenrolle an.«

ZEHN
    Kapitel sechs von Davids neuem Selbsthilfebuch, bisher noch ohne Titel, handelte davon, dass man anstehende Probleme immer bis zum Ende verfolgen soll. Es sei ungesund, etwas schleifen zu lassen, weil es dann einfach vor sich hin gärt und nur noch schlimmer wird. Der Weg zu Genesung und Verständnis ist Kommunikation, schrieb mein Vater. Ich saß auf der Veranda und dachte darüber nach. Ziemlich gut eigentlich.
    Ich hörte, wie die Fliegentür geöffnet wurde, und blickte zur Seite. Dad kam mit zwei Tassen Kaffee heraus. Das Viertel war dunkel und still, genauso reglos wie das Gemälde, das ich mir bei meiner Ankunft vorgestellt hatte. Nicht einmal der Hauch einer Brise. Er hielt mir eine Tasse hin. »Ich habe Sahne reingetan.«
    Ich nahm die Tasse entgegen, zog die Beine an und atmete den Duft der heißen Flüssigkeit tief ein. »Danke.«
    »Was dagegen, wenn ich mich zu dir setze?«
    Ich schlürfte meinen Kaffee. »Nur zu.«
    Er nahm Platz und schwieg, wie gewöhnlich. Man sollte meinen, dass er als Therapeut ständig quatschen würde, aber das tat er nie. Wir redeten, klar, aber es war nicht das ständige Geplapper wie mit meiner Mom. Er schlug die Beine übereinander. »Schöner Abend. Manchmal kann man die Trauben beinahe riechen.«

    Ich fragte mich, wie viele Abende er wohl schon schweigend hier draußen verbracht haben mochte. Hatte er eine Freundin? Freunde? War er wirklich ein Eremit? Ich holte tief Luft. »Als ich herkam, dachte ich, du wärst schwul.«
    Er räusperte sich. »Hmm. Warum?«
    »Das Haus und das zweite Paar Sandalen neben der Tür.«
    Er nickte. »Ah. Ich verstehe, dass das Fragen geweckt hat.«
    »Bist du’s?«
    Er ließ sich einen Moment Zeit. »Nein.«
    In der Ferne zirpte eine Grille, gefolgt von einer weiteren. Wir beobachteten, wie der Wagen eines Nachbarn langsam vorbeifuhr und die Scheinwerferlichter die Dunkelheit durchschnitten. »Warum antwortest du eigentlich nie auf irgendetwas?«
    »Ich habe doch geantwortet, Poe.«
    »Nicht wirklich. Nicht in echt.«
    »Ich bin nicht homosexuell.«
    Meine Stimme klang weich, seidig wie die Nacht. »Aber was bist du? Bevor ich herkam, meine ich? Was hast du so gemacht?«
    »Du meinst meinen Zeitplan? Ich war meistens zu Hause und habe geschrieben.«
    »Hast du Freunde?«
    Er nickte. »Habe ich. Und gelegentlich kommen sie mich auch besuchen.«
    »Frauen?«
    »Gelegentlich.«
    »Eine Freundin?«
    »Im Augenblick nicht. Aber ich bin vor Kurzem mit einer
netten Frau aus Northburg ausgegangen. Du erinnerst dich an Northburg? Dort haben wir deinen iPod gekauft.«
    »Wie war ihr Name?«
    »Clara.«
    »Wie habt ihr euch kennengelernt?«
    »Sie ist Grundschullehrerin. Wir haben uns bei einem Seminar kennengelernt.«
    »War sie nett?«
    »Ja, das war sie.« Er sah mich an. »Poe, ist alles in Ordnung?«
    Ich blickte in die Dunkelheit, lauschte den Grillen und spürte die Kühle der Nacht. »Warum bist du weggegangen?«
    Lange Sekunden verstrichen. Er bewegte sich nicht, starrte nur, genau wie ich, ins Dunkel. »Deine Mutter und ich haben irgendwann festgestellt, dass wir unterschiedliche Ziele hatten, und …«
    »Bitte, sag das nicht«, sagte ich in die Stille hinein.
    »Was möchtest du gern wissen, Poe?«
    »Warum du mich verlassen hast.«
    »Ich habe dich nicht verlassen … ich bin gegangen …« Dann brach er ab, und es folgte das unbehaglichste Schweigen, das ich je erlebt hatte.
    »Hast du mich einfach nicht geliebt?«
    »Nein. Ja. Ich habe dich geliebt. Ich habe dich immer geliebt.«
    »Wieso dann?«
    Er räusperte sich. Ein weiterer Wagen fuhr vorbei. »Poe, manchmal geschehen Dinge in dieser Welt eben einfach. Zwei Menschen denken, sie seien verliebt, sie schmieden
Pläne und haben Träume, und irgendwann begreifen sie, dass sie Fehler gemacht haben.«
    »So wie mich zu bekommen?«
    Er beugte sich über den kleinen Tisch und legte seine Hand auf mein Knie. Ich schubste sie weg. Dann wischte ich mir über die Augen. Er holte tief Luft. »Nein. Nicht du. Du warst überhaupt kein Fehler.«
    »Dann antworte mir. Warum bist du weggegangen? Warum begegnen wir uns erst sechzehn Jahre, nachdem du fortgegangen

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