Schandtat
wälzte, und an den Coach, der ihn einfach ignoriert hatte. Velveeta war tatsächlich die Witzfigur der Schule, genau wie Theo gesagt hatte, und als ich vor der Sekretärin stand, die hinter dem Empfangstresen saß, empfand ich nicht die geringste Spur des Bedauerns für das, was ich getan hatte. Ein Schild auf dem Tresen identifizierte die Dame als Ms Appleway . Mein Blick wanderte von ihrem Namen zu ihr. Eine Frau in den Sechzigern, die aussah wie jedermanns Großmutter. »Ich bin wegen eines Termins bei Mr Avery hier.«
Sie lächelte und sah auf ihre Notizen. »Ja. Coach Policheck hat angerufen, um Ihr Kommen anzukündigen. Anscheinend ein Problem mit unseren Uniformen?«
Ich lächelte. »Nicht, soweit es mich betrifft.«
Ihr Lächeln wurde breiter, und sie lehnte sich augenzwinkernd vor. »Richtig so, Kleines.«
Ich blinzelte, konnte nicht glauben, dass sie das gesagt hatte. Mein Blick fiel auf eine Reihe von Türen, neben denen jeweils ein Stuhl stand. »Dort drüben?«
Sie nickte. »Er wird gleich Zeit für Sie haben.«
Ich setzte mich auf den gepolsterten Stuhl vor der Tür mit dem Schild Stellvertretender Schulleiter Avery , und nur einen
Augenblick nachdem Ms Appleway in seinem Büro angerufen hatte, öffnete sich auch schon die Tür.
Mr Avery trug nicht den üblichen Anzug mit Krawatte, in dem die Schulleiter, die ich sonst so kannte, umherstolzierten, sondern eine lässige Baumwollhose und ein Poloshirt, auf dessen linker Brust Benders High gestickt war, und er wog bestimmt gut vierhundert Pfund. Seine rosigen Wangen gingen unmittelbar in den Hals über, und Bauch und Hüften zeichneten sich wie umgeschnallte Gelatinesäcke unter seinem Hemd ab. Der Abdruck seines Bauchnabels sah unter dem straff gespannten Stoff aus wie ein Donutloch, und während er dort so stand, ließ seine Leibesfülle nur etwa zwei oder drei Zentimeter Platz an jeder Seite des Türrahmens. Er zog seine Hose hoch, seufzte, sah mich an und lächelte. »Ms Holly? Bitte, treten Sie ein.« Ich stand auf, und er hielt mir seine Hand hin. »Ich hatte eigentlich gehofft, Sie unter anderen Umständen kennenzulernen.«
Ich schüttelte seine Hand, dann folgte ich ihm ins Büro. Zwei Stühle standen vor seinem Schreibtisch, und auf einem davon saß mein Dad. Ich verdrehte die Augen, als Mr Avery sich am Aktenschrank vorbeizwängte und Platz nahm. Er räusperte sich. »Bitte, setzen Sie sich.«
Dad legte den rechten Fuß auf sein linkes Knie. »Hallo, Poe.«
Ich ließ mich auf den Stuhl neben ihm fallen. »Also werd ich wohl gleich von Anfang an schonungslos ins Verhör genommen, hm?«
Mr Avery schüttelte den Kopf. »Nein, Ma’am. Tatsächlich hatten Ihr Vater und ich gerade eine Besprechung, als der Anruf kam. Es war gewissermaßen zweckmäßig, dass er blieb.«
»Für wen?«
Er warf einen kurzen Blick auf meinen Dad, dann fuhr er fort. »Wo liegt das Problem mit Ihrer Sportuniform?«
Ich schüttelte den Kopf. »Ich glaube, Coach Policheck ist, was die Kleiderordnung betrifft, möglicherweise ein wenig verwirrt.«
Das kaufte Mr Avery mir nicht ab. »Sie haben sich geweigert, Ihre Uniform zu tragen?«
»Ich habe meine Uniform getragen.«
»Coach Policheck hat mich davon in Kenntnis gesetzt, dass Sie sich geweigert haben.«
»Oh, Sie meinen dieses bescheuerte rote Ding? Das hatte ich zuerst an, aber als ich dann festgestellt hab, dass man auch coolere Klamotten tragen kann, hab ich mich wieder umgezogen.«
Er runzelte die Stirn, und seine schwabbeligen Wangen begruben beinahe seine Augen. »Coolere Klamotten?«
»Ja. Man braucht die Sportkleidung, die man mir gegeben hat, gar nicht zu tragen.«
»Oh doch. Das ist an dieser Schule Vorschrift.«
»Nein, ist es nicht.«
Er holte tief Luft und warf meinem Dad schon wieder einen Blick zu.
»Warum sehen Sie eigentlich andauernd meinen Dad an?«
»Verzeihung?«
»Sie sehen ständig meinen Dad an, als wüssten Sie nicht, was Sie tun sollen.«
Dad meldete sich zu Wort. »Ich denke, Mr Avery hat Mühe zu verstehen, wo das Problem liegt, Poe. Ich glaube, ich weiß Bescheid, aber warum erklärst du es nicht?«
Ich zuckte die Achseln. »Als ich gesehen hab, dass man die Sportuniform nicht zu tragen braucht, habe ich mich umgezogen. Ist das ein Problem?«
Mr Avery schluckte. »Wer hat seine Uniform nicht getragen?«
»Schätzungsweise zehn oder fünfzehn Schüler. Die hatten andere Shirts an.«
Es dauerte ein Weilchen, bis er endlich den Zusammenhang hergestellt hatte.
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