Schandtat
bist? Warum, Dad?« Ich wischte heimlich eine weitere Träne weg, wollte nicht, dass er es merkte. Wollte, dass dieser Mann, der mein Vater war, ein Fremder blieb. Ein Außenseiter, den man besser auf Distanz hielt.
Er blickte starr geradeaus. »Ich habe dich verletzt.«
Ich schnaubte. »Als ich klein war, hab ich mir so sehr einen Dad gewünscht, weißt du? Aber Mom wollte nicht darüber reden. Niemals. Immer nur die alte Leier: Du warst fort. Es spielte keine Rolle. Wir konnten die Vergangenheit nicht ändern. Aber sie hat mir nie irgendwas erzählt.«
»Es tut mir leid, Poe. Mir war nicht klar …« Dann brach er ab und stellte seinen Kaffee neben meinen. »Ich bin gegangen, weil ich jung und dumm und feige war. Wir gingen noch zur Schule, deine Mutter hatte schon damals das Ziel, sich zu der Chirurgin ausbilden zu lassen, die sie heute ist, und ich wollte den großen amerikanischen Roman schreiben. Und wir haben geheiratet. Unsere Romanze war erfüllt von Leidenschaft und Freiheit und all den Dingen, die ich wollte, von denen man mir immer erzählt hatte, sie seien normal und perfekt, und dann kamst du. Aber ich hatte Angst.«
»Wovor?«
»Vor dir, Poe.«
Ich senkte den Kopf und starrte auf meinen Schoß. »Warum?«
»Ich hatte Angst davor, Vater zu sein, und vor all den Dingen, die damit verbunden sind, und deine Mutter hat mich dafür verachtet. Es war schwach, ich war schwach, also habe ich getan, was ich damals für das Beste hielt. Ich bin gegangen.«
»Wollte sie, dass du gehst?«
»Ja.«
»So denkt sie auch immer noch über dich. Ich merk’s ihr an, wenn ich das Thema zur Sprache bringe. Verachtung. Mich behandelt sie genauso.«
»Deine Mutter ist eine starke Frau. Eine Frau mit ihrer eigenen Meinung und ihrer eigenen Art zu leben. Ich passte da einfach nicht hinein, obwohl ich sie geliebt habe und auch heute noch liebe.«
»Also bist du gegangen.«
»Ja. Ich dachte, es wäre besser, wenn ich mich aus deinem Leben heraushalte.«
»Das ist echt bescheuert.«
»Ja, das ist es. Und ich habe die letzten sechzehn Jahre damit verbracht, mich einfach zu sehr dafür zu schämen, als dass ich es hätte in Ordnung bringen können. Ich habe in meinem Schneckenhaus gelebt und versucht, mich vor mir selbst zu verstecken, und dann bist du gekommen, hast den Vorschlaghammer herausgeholt und ihn mir auf den Kopf geschlagen.«
Ich schloss die Augen. »Ich wünschte, du wärst geblieben.«
Es kam als Flüstern heraus, Tränen tropften mir von der Nasenspitze auf meine gefalteten Hände.
Darauf gab es nichts zu erwidern, also saßen wir einfach nur da - er nahm meine Hand in seine, und ich ließ es zu.
ELF
Der Sportunterricht an der Benders High fand zweimal pro Woche statt, und irgendwann im Laufe des Freitags war ich auf dem Weg zur Turnhalle. Für alle Schüler der Benders High gab es eine offizielle Sportkleidung, bestehend aus mit Monogramm versehenen Sweatshirts, Shorts und Billig-T-Shirts. Ich sehe in meinem kleinen Outfit wirklich umwerfend aus, und einfach nur in der Halle zu sein, weckte in mir bereits den Wunsch, Profivolleyballspielerin zu werden. Mit meinen Einsfünfundfünfzig konnte ich immerhin den unteren Rand des Netzes berühren.
Mrs Policheck, auch bekannt unter dem originellen und zugleich treffenden Titel Coach , war die Lehrerin der Mädchen, und die Turnhalle war in zwei Hälften geteilt, eine Seite für die Mädels, die andere Seite für die Typen. Ich hielt in dieser riesigen Sporthalle nach Theo Ausschau, entdeckte aber nur Velveeta, der genau wie ich in so einem tollen Outfit steckte.
Vor Unterrichtsbeginn liefen etwa hundert andere rot gekleidete Streber ziellos umher oder schlugen Bälle über die Netze, und während die Geräusche von zweimal wöchentlich aktiven jungen Leuten durch das Gebäude hallten, saß ich auf der Tribüne und beobachtete Velveeta.
Während fast alle Mädchen nur auf dem Volleyballfeld herumstanden und quatschten, gruppierten sich die meisten
Jungen zu beiden Seiten der Netze und schmetterten und baggerten und pritschten wild durcheinander. Velveeta stand auch auf einem der Felder, während die Bälle nur so durch die Luft flogen, und wenn einer in seine Nähe kam, schlurfte er darauf zu, zog sich jedoch sofort zurück, sobald andere Jungen herbeistürzten, um den Ball anzunehmen. Dann fiel mir etwas auf.
Zwischen all den roten Sweatern und T-Shirts standen vereinzelt auch Typen, die am Oberkörper keine Sportuniform trugen. Sie trugen ihre
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