Schandtat
anfallenden Gebühren werden von der Schule übernommen, darüber brauchen Sie sich also keine Gedanken zu machen. Und …« Sie stand auf, öffnete einen Schrank und holte ein Päckchen heraus. »Hier ist Ihr Chorgewand. Es sollte eigentlich passen, aber falls nicht, lassen Sie es mich wissen, und ich besorge Ihnen ein anderes. Die Gewänder sind ziemlich teuer, also seien Sie bitte vorsichtig damit.«
Ich betrachtete das in Plastik eingewickelte und zusammengefaltete Gewand in den roten und schwarzen Benders-Farben mit dem Emblem der Schule darauf und stopfte es
in meinen Rucksack. »Danke. Montagmorgen um halb acht?«
»Ja. Jeden Montag, Mittwoch und Freitag. Ich hoffe, es macht Ihnen nichts aus, dass ich mir auch Ihren Stundenplan vorgenommen habe. Ich musste Ihr Wahlpflichtfach für den Chor in die vierte Stunde verlegen.«
»Cool.«
Sie nickte, und schon war ich zur Tür hinaus. Auf dem Heimweg fragte ich mich, was ich wohl zu erwarten hatte, sobald ich dort ankam.
Dad war allerdings gar nicht da, aber dafür Theo. Ich zögerte, als ich ihn auf der Verandatreppe sitzen sah. Als ich näher kam, lächelte er, dann lehnte er sich zurück und stützte sich auf seine Ellbogen. »Du bist meine Heldin.«
Ich zerrte meine Tasche von den Schultern, ließ sie einfach auf den Boden plumpsen und setzte mich. »Gib mir die Definition einer Heldin, und dann stimm ich dir vielleicht sogar zu.«
»Eine Heldin ist nach der Definition der ungekürzten Ausgabe von Webster’s Dictionary eine Person, die gnadenlos idiotische Schulleiter und Volltrottel verfolgt und sich selbst in Gefahr bringt, um das Böse zu entlarven, das innerhalb der Systeme lebt, die wir erschaffen, um Menschen zu kontrollieren.«
Ich grinste. »Schulleiter und andere Übeltäter? Der Präsident mag stolz sein, aber ich bin mir nicht sicher, ob Mr Avery mit den Schurkenstaaten der Dritten Welt zu vergleichen ist, die Atomwaffen entwickeln wollen.«
Er zuckte mit den Schultern, träge in der Nachmittagssonne. »Es hat eben alles seine Zeit und seinen Ort, Poe.
Was dem einen der Nahe Osten, ist der anderen der stellvertretende Schulleiter.«
»Ja, aber die Benders High sitzt nicht auf einem der weltgrößten Ölfelder.«
»Komm schon, mach dich bloß nicht so klein. Es heißt, du hättest der Bestie die Stirn geboten und überlebt. Was genau ist in seinem Büro passiert?«
»Gerüchte verbreiten sich hier ziemlich schnell, was?«
»Jep, also spuck’s aus.«
»Nichts. Ich hab zugestimmt, eine Loser-Uniform zu tragen.«
Er stöhnte dramatisch auf. »Wo ist die Rebellion geblieben? Das Feuer in deinem Bauch? Großer Gott, wenn du eine Revoluzzerin werden willst, darfst du doch nicht klein beigeben. Das ist absolut unrevoluzzermäßig. Du bist doch keine Knetfigur, die man verbiegen und verdrehen kann, oder?«
»Ich interessier mich nicht für eine Revolution. Die Regel ist einfach total dumm, also hab ich was dazu gesagt.«
»Dumm ist der, der Dummes tut.«
»Mein Dad und ich hatten letztens erst über diesen ganzen Kram gesprochen, und ich wollte nur meinen Standpunkt beweisen.« Ich hielt inne und dachte nach. »Du hast dich übrigens gerade selbst als dumm bezeichnet.«
»Moi?«
»Du trägst doch auch das T-Shirt«, sagte ich. »Dumme Regeln für dumme Leute, richtig?«
»Erwischt. Ich hab einfach nicht die Willenskraft, das System in Ordnung zu bringen«, erwiderte Theo.
Ich blickte auf meine Füße. »Das Ganze war total albern, schätze ich. Irgendwie unreif.«
»Nein. Das war es nicht. War dein Dad dabei?«
»Ja. Sie hatten gerade zufällig eine Besprechung, als ich reinkam.«
Er lachte. »Was für ein Zufall.«
»Ja. Aber ich hab Mr Avery dazu gebracht, sich zu winden.«
»Einem fetten Mann dabei zusehen zu müssen, wie er sich windet, kann ziemlich hässlich werden.«
Ich lächelte. »Ja, wahrscheinlich. Aber eigentlich schien er ganz nett zu sein.«
»Ist er auch, und genau da liegt das Problem. Es wäre viel einfacher, wenn die Überbringer sozialer Ungerechtigkeit allesamt Arschlöcher wären, aber das sind sie nicht, und was die ganze Sache noch schlimmer macht, ist der Umstand, dass sie ihr Tun tatsächlich für richtig halten. Gegen dieses durch und durch institutionelle Denken kommt keiner an.«
Ich schüttelte den Kopf. »Er hat genau verstanden, worauf ich hinauswollte. Er fand es einfach nur albern. Das war ihm anzumerken.«
»Hast du schon mal 1984 von George Orwell gelesen?«
»Ja, aber ich hab dir doch
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