Schandweib
die abgewetzten und schmierigen Stufen. Er konnte es nicht verhehlen, ihm war nicht wohl bei diesem Gang. Schon auf der Straße hatte er sich beobachtet gefühlt. Zwar konnte er niemanden ausmachen, aber ihm war, als folgte ihm ein Schatten.
Unter ihm knarrte eine Tür. Ob noch jemand das Haus betrat? Dabei war die Wirtin, Frau Niemann, eine ältliche Witwe, bereits ihm gegenüber sehr misstrauisch gewesen und wollte ihn zunächst nicht hereinlassen. Erst als er ihr zweimal laut und deutlich erklärt hatte, dass er Prokurator des Hamburger Niedergerichtes sei und sicherstellen wolle, dass alles in ihrem Hause seine Ordnung und Richtigkeit habe, hatte sie ihm schließlich aufgesperrt. Dass sie nun einfach mir nichts, dir nichts einem Nächsten die Tür öffnen würde, hoffte er nicht. Vielleicht war es ja auch eine Tür im Haus.
Wrangel musste bis ganz nach oben steigen, Bunk hatte in der Dachkammer gewohnt. Zum Glück war die Miete bereits für vier Wochen im Voraus gezahlt. Dieser war der letzte bezahlte Abend gewesen. Frau Niemann hatte Wrangel deutlich zu verstehen gegeben, dass sie sich morgen schon nach einem neuen, vor allem einem ehrbaren Mieter umsehen würde. Aber da sie selbst eine ehrbare Frau sei, habe sie so lange damit gewartet, wie die Miete beglichen gewesen sei. So war Wrangel keinen Augenblick zu spät erschienen.
Endlich erreichte er die kleine Tür zur Dachkammer. Unten fiel eine weitere Tür ins Schloss. Wrangel zuckte zusammen.Umständlich schob er den Riegel beiseite und betrat die finstere Kammer. Das flackernde Licht der Kerze warf unwirkliche Schatten auf den Boden. Auf allen vieren kriechend befühlte Wrangel die einzelnen Bodendielen, um endlich jene lockere aufzuspüren, unter der Bunk einen kleinen Geldbeutel versteckt hatte. Er warf nur einen kurzen Blick hinein, zählte aber nicht das Geld.
Am Haken der Kammertür hing ein warmer Rock, und ein Paar feste Stiefel standen neben einem Schemel. Beides raffte er zusammen. Bunk würde es gebrauchen können. Dann verschloss er eilig die Kammertür hinter sich und kletterte die steile Stiege wieder hinab. Endlich hatte er die letzte Stufe erreicht und trat durch die niedrige Holztür hinaus auf die Straße.
Plötzlich packte ihn jemand mit festem Griff an Schulter und Arm und zog ihn seitlich nach hinten in eine enge Gasse zwischen den Häusern, die mit Fäkalien bedeckt war. Wrangel hatte sich also doch nicht geirrt, jemand war ihm gefolgt. Er versuchte sich umzudrehen und aus dem eisernen Griff des Angreifers zu befreien. Doch der Mann war kräftig und untersetzt. Wrangel gelang es, ihm hart ans Schienbein zu treten. Der Griff an seinem Arm lockerte sich. Gerade wollte Wrangel ausholen, um dem Kerl seinen Ellenbogen in den Magen zu rammen, als ihn auf einmal ein stechender Schmerz in der rechten Niere durchfuhr. Ein anderer Kerl, der plötzlich aufgetaucht war, hatte ihm einen kräftigen Tritt mit seinem schweren eisenbeschlagenen Stiefel verpasst. Wrangel schwankte und ließ Bunks Stiefel und Rock fallen. Bevor er seinen Arm schützend vor sich halten konnte, schlug ihm der vordere Mann mit voller Wucht seine Faust in den Magen, dass Wrangel die Luft wegblieb und er zusammensackte. Der hintere Mann verpasste ihm noch einen weiteren Tritt in die Kniekehle, und Wrangel brach zusammen.
»Na, du diebischer Spitzel, was treibst du dich nachts in fremden Häusern rum?«
Wrangel wollte sich aufrichten, aber schon hatte er eine Faust im Gesicht. Es knirschte und der warme eiserne Geschmack von Blut breitete sich in seinem Mund aus.
»Los, Mann, lass uns schauen, was er bei sich hat!«
Die Männer rissen seinen Mantel auf und durchwühlten seine Kleider. Schnell hatten sie den kleinen Lederbeutel von Bunk gefunden. Auch sein eigener Geldsack entging ihnen nicht.
»Er muss sie haben, Jan, sieh unter seinem Hemd nach, ob da die Briefe sind.«
Wrangel stöhnte leise. Über sich gebeugt sah er einen großen schweren Mann stehen, dessen lange blonde Haare strähnig auf eine kurze Jacke fielen, die er über einem ledernen Wams trug. Blitzschnell riss Wrangel seinen Arm hoch, packte den Mann am Wams, bekam einen Knopf zu fassen und versuchte, ihn über seine Schulter auf den Boden zu reißen. Da erzitterte sein Kopf unter einem kräftigen Schlag, und alles um ihn herum wurde dunkel.
Montag, 22. November 1701
42
D er Geruch von frisch gebratenem Fleisch stieg Wrangel in die Nase, und augenblicklich verspürte er heftigen Hunger. Er öffnete
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