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Schandweib

Schandweib

Titel: Schandweib Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Weiss
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Gefühle für sie nicht bezeichnen. Wieder einmal hatte Claussen recht gehabt. Er musste mit ihm reden. Claussen würde schon wissen, welche Wege und Möglichkeiten es für diese Liebe geben konnte.

Samstag, 9.  Januar 1702
66
    Ü ber den Kirchtürmen der Stadt brach die Sonne blutrot durch die morgendlichen Nebel und färbte sie in ein weiches Rosa, als Wrangel sein Quartier in der Rosenstraße verließ und sich zur Frohnerei aufmachte. Alles sah danach aus, dass es ein sonnig-frostiger Tag werden würde. Eiszapfen hingen von den Dächern der Häuser, und der Atem verwandelte sich zu dichtem Nebel, sobald er die warme Mundhöhle verließ. Wrangel hatte noch gut eine Stunde Zeit, bevor man sich wegen der anstehenden Hinrichtung mit den Senatoren im Rathaus traf. Um zehn Uhr sollte der Hinrichtungszug durch die Stadt beginnen.
    Die vergangenen zwei Wochen waren ruhig und sogar besinnlich verlaufen, soweit das in seinem angespannten Zustand möglich war. Am Heiligen Abend hatte er an dem Gottesdienst in der St.-Katharinen-Kirche teilgenommen und dort Claussens Oheim getroffen. Der lud ihn ohne Umstände zum familiären Weihnachtsessen in sein Haus ein, hatte er doch von der plötzlichen Abreise seines Bruders gehört. Wrangel war es recht gewesen. Bei den Claussens war immer mit einer anregenden Unterhaltung zu rechnen.
    So gestaltete sich auch das Weihnachtsfest. Nach dem weihnachtlichen Gottesdienst, den man auch wieder in St. Katharinen beging, wurde bei Claussens in der Großen Reichenstraße eine große Weihnachtsgans serviert. Neben Wrangel war auch Syndikus Lorenz eingeladen. Seit knapp zwei Jahren war er verwitwet und fand hier ebenfalls den weihnachtlichen Frieden im Kreis von Freunden.
    Von Abelson hatte Wrangel so gut wie nichts gehört. Zwar traf er ihn zusammen mit Ruth auf einem Spaziergang am Jungfernstieg, aber man tauschte nur einige Freundlichkeiten aus.
    Dafür jedoch hatte er am Silvestertag ein langes Gespräch mit Matthias Claussen geführt. Claussen war wirklich ein Freund. Und ein guter Menschenkenner. Wrangel hatte ihm seine Gefühle für Ruth eingestanden, und gemeinsam hatten sie die Probleme und Möglichkeiten erörtert, die eine etwaige Verbindung aufwerfen würde. Das größte Problem war sicher der alte Abelson. Auch wenn man es ihm nicht immer anmerkte, war er ein gläubiger Mann und darauf bedacht, dass sein jüngstes und nunmehr einziges Kind einen jüdischen Mann heiratete. Sie war sein Augenstern, seine Lebensfreude, und er hatte sie privat sehr sorgfältig ausbilden lassen. Davon hatte Wrangel ja schon einige Kostproben erhalten. Ruth war belesen und wusste mit ihrem Wissen umzugehen.
    Aber heute war nicht der Tag, um seinen Gefühlen für Ruth Abelson nachzuhängen, obgleich sie ihm sehr über die auferlegte Zurückhaltung in Bezug auf Wilken geholfen hatten. Er hatte sich jegliche gedankliche Abschweifung zu dessen Verbrechen verboten und verdrängt, was zu verdrängen ging. Heute nun sollte die Hinrichtung von Bunk, Jürgensen und Jähner stattfinden.
    Als er um die Straßenecke bog und auf dem Berg ankam, konnte er schon von weitem das rege Treiben in der Frohnerei erblicken. Die Knechte ölten die Räder des Schinderkarrens undhantierten mit verschiedenen Geräten herum. Der grobschlächtige Meisterknecht bestückte zwei tragbare kleine Öfen mit Kohle. Schließlich mussten die Zangen für die Pein auf dem Weg zur Hinrichtung an Ort und Stelle zum Glühen gebracht werden. Das Zwicken der armen Sünder fiel ihm zu. Asthusen würde sich bis zum großen Finale zurückhalten.
    Über dem Pranger, der unweit der Frohnerei stand, hingen einige geschmeidig gewichste Lederriemen. Eine größere Menge Schaulustiger hatte sich bereits eingefunden, um den Vorbereitungen hautnah zu folgen. Eine Hinrichtung war stets etwas Besonderes. Eine Mischung aus Grauen, Abschreckung und Mitleid erfasste die Zuschauenden, waren sie sich doch bewusst, dass die grässlichen Strafen auch dazu dienten, sie alle vor den Folgen eines ähnlichen Verbrechens zu warnen. Zugleich aber strafte die Exekution exemplarisch all jene mit ab, die eine geschehene Untat verteidigten oder entschuldigten oder sich eines ähnlichen Verbrechens sogar selbst schuldig gemacht hatten. Die kehrten dann mit dem Gefühl der Erleichterung, noch einmal davongekommen zu sein, und häufig geläutert von der Hinrichtung der armen Sünder zurück.
    Wrangel wurde flau im Magen. Tatsächlich hatte er den heutigen Tag in den

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