Schandweib
vergangenen zwei Wochen weitestgehend verdrängt. Umso heftiger holte ihn nun die Gegenwart ein. An der Eingangstür der Frohnerei trat ihm Asthusen entgegen. Er trug bereits seinen schweren ledernen Rock und die eng anliegenden Beinkleider.
»Seid gegrüßt, Meister Ismael. Ich möchte auf ein letztes Wort zu meiner Mandantin.«
»Seid gegrüßt, Prokurator. Kommt nur herein. Pastor Krüger und sein Vikar Claussen von St. Katharinen sind schon da und beten mit den armen Sündern.«
Wrangel war verdutzt. Claussen hatte ihm nichts davon erzählt, dass der Pastor von St. Katharinen ausgewählt worden war, den letzten Weg der armen Sünder zum Schafott zu begleiten und die Predigt nach der Urteilsverkündung zu halten. So etwas war eine große Sache, es bot dem jeweiligen Pastor eine bedeutsame Bühne und so manche Anerkennung.
Auf dem Flur der Frohnerei trat Claussen aus der Herrenstube Wrangel entgegen und begrüßte ihn freundlich. »Bunk ist hier oben. Ich habe gerade mit ihr gesprochen. Nun verstehe ich Euch noch besser, Wrangel. Diese Frau hat einen sehr starken Willen und eine ebenso eigene Auffassung dessen, was gut und was böse ist. Natürlich hat sie Angst vor der Hinrichtung, nicht aber vor dem Tod. Ich bin mir sicher, dass Meister Ismael sich um sie auf dem Schafott keine Sorgen machen muss. Ihr wollt noch einmal zu Ihr, nicht wahr?«
»So ist es. Ich weiß auch nicht genau, warum. Aber erinnert Ihr Euch daran, dass ich einmal sagte, an ihrem Schicksal scheine mein eigenes zu hängen?«
»Ja, Ihr wart damals allerdings etwas verwirrt.«
Wrangel nickte, behielt aber sein besseres Wissen für sich. Es war weder der Ort noch der Zeitpunkt, dies mit Claussen zu erörtern. Ein anderes Mal. Vielleicht.
»Ich gehe jetzt zu der zweiten armen Sünderin, der Jürgensen. Pastor Krüger spricht noch mit Jähner in der Schankstube. Der arme Kerl scheint sehr neben sich zu stehen. Wir sehen uns nachher im Rathaus.«
»Ihr werdet bei der Hinrichtung ebenfalls zugegen sein?«
»Ja.«
»Gut. Bis später.«
Wrangel öffnete die Tür zur Herrenstube. Bunk saß in dem hellen Hanfkleid, das sie schon vor Gericht getragen hatte, aufeinem Schemel und starrte auf ihre Hände, die über Kreuz gebunden in ihrem Schoß lagen.
»Ich wollte mich von dir verabschieden und sichergehen, dass du dich nicht doch noch anders entschieden hast und widerrufen möchtest. Es ist immer noch möglich. Das weißt du, nicht wahr?«
Bunk starrte weiter auf ihre Hände und antwortete nicht.
»Kann ich noch etwas für dich tun? Möchtest du einen Schnaps?«
Sie schwieg reglos weiter. Dann hob sie plötzlich ihren Kopf und schaute Wrangel direkt in die Augen. »Ihr seid ein guter Mann, Prokurator. Auch wenn Ihr mich nicht vom Schafott abhalten könnt, so habt Ihr mir in den letzten Wochen doch geholfen. Ich danke Euch dafür.«
»Das war meine Aufgabe und meine Pflicht.«
Bunk grinste schief. »Die beiden anderen haben in der ganzen Zeit nicht einmal ihre Prokuratoren hier gesehen.«
Wrangel zuckte mit den Schultern.
»Ich möchte Euch noch etwas sagen, Prokurator.«
»Ich höre.«
Bunk atmete tief ein. »Mein Taufname ist
Anna.«
Wrangel schluckte und nickte.
Bunk wandte sich wieder ihren Händen zu. Nach einer kleinen Weile rief Wrangel nach einem Knecht und schickte ihn nach einem Schnaps. Bunk nahm den Becher zwischen ihre gebundenen Hände und trank ihn in einem Zug leer.
»Der Herr sei mit dir und gebe dir Kraft für deinen letzten Weg
« Wrangel stand auf, ging zur Tür und drehte sich auf der Schwelle noch einmal nach Bunk um. »
Anna.«
Dann verließ er mit eiligen Schritten die Frohnerei.
67
A uf dem Rathausplatz herrschte reges Treiben. Überall hatten sich fliegende Händler postiert und boten ihre Waren feil. Da der Samstag ein Markttag war, hatten sich viele Menschen aus dem Umland eingefunden und drängten sich nun vor dem Rathaus, um den Beginn des Hinrichtungsspektakels nicht zu verpassen.
Wrangel bahnte sich seinen Weg durch die Menschenmenge bis vor die Haupttür des Rathauses, die von mehreren Röpern bewacht wurde. Zeitgleich mit ihm traf der Aktuar Dr. Meyer ein, der den gesamten Verlauf der Hinrichtung zu protokollieren hatte. Im Saal hatten sich bereits mehrere Senatoren versammelt und waren in rege Gespräche vertieft. Sie trugen ihre spanischen Hüte, wie es sich für diese ernste Feierlichkeit gehörte. Wilken stand mitten unter ihnen. Er sah sehr zufrieden mit sich aus und redete
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