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Scharade der Liebe

Titel: Scharade der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Coulter
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wieder einfiel, setzte sie sich rasch auf. Davon wurde ihr so schwindlig, dass sie fast wieder umgefallen wäre. Ganz still saß sie da und wartete, bis es ihr besser ging. Schließlich war ihr Kopf wieder klar. Er stand ein paar Schritte weit von ihr entfernt und schlüpfte gerade in seine Weste.
    »Sind die Kleider trocken?«
    Er drehte sich um und lächelte sie an. Sie hatte ihn noch nie zuvor lächeln sehen. Es gefiel ihr. Eigentlich hätte sein Lächeln sie umgeworfen - hätte jede Frau umgeworfen, dachte sie -, wenn sie hier nicht im Hemd und mit Stroh in den Haaren sitzen würde. Würde sie ihn nicht für einen Verführer halten, der genau wie ihr Stiefvater war, dann hätte sie sein Lächeln sicher als das netteste Lächeln empfunden, das ihr je geschenkt worden war. Andererseits hatte er ihr versichert, dass er nicht böse war. Sie war jedoch davon überzeugt, dass man Männern nicht glauben durfte.
    »Ja, sie sind trocken. Wie geht es dir?«
    Gott sei Dank war ihr nicht mehr schwindlig. Schweigend prüfte sie ihren Körper von den Rippen bis zum Kopf. So schlimm war es nicht, es pochte nur an beiden Stellen. Sie fühlte sich ein wenig schwerfällig und unbeholfen, was seltsam war, aber es war nicht so schlimm, dass sie es ihm sagen musste. »Es geht mir gut, aber ich möchte nicht nach London zurück. Ich begleite Euch und Brewster nur ein Stück, um sicherzugehen, dass ich auf der Straße nach Folkstone bin.«
    »Höchstwahrscheinlich nicht«, entgegnete er, wobei er den Falten in seiner Jacke mehr Aufmerksamkeit schenkte als ihrer ernsthaften Bemerkung.
    Sie hielt es auch nicht für sehr wahrscheinlich, aber er hätte es ihr ja zumindest erklären und sich entschuldigen können, und vielleicht hätte er sie dann sogar noch einmal anlächeln können. Er trat auf sie zu und warf ihre Kleider auf das Stroh.
    »Zieh dich an. Ich kümmere mich um Durban und Brewster. Sie haben vermutlich Durst.«
    Sie knöpfte gerade ihre Reithosen zu, als er in den Schuppen zurückkam. »Die Sonne strahlt heller als das Gesicht einer Frau, wenn ihr Liebster ihr ein Diamantencollier schenkt.«
    »So etwas habe ich noch nie gehört.«
    »Manchmal bin ich ein Poet«, erwiderte er. Er kniff die Augen zusammen und blickte sie von oben bis unten an. »Du siehst aus wie ein Wrack.«
    »Du auch.«
    »Ja. In einem Londoner Salon wäre wohl keiner von uns willkommen. Andererseits ist mein Gesicht nicht wie deins mit blauen, grünen und gelben Flecken bedeckt. Lass uns etwas essen gehen. In der Nähe muss ein Ort mit einem Gasthof sein.«
    Die dicke Gans war das erste Gasthaus in dem Marktflecken Grindle-Abbott. Es lag in einem kleinen Garten, umgeben von Eichen, mit einem kleinen Stall, direkt gegenüber vom Platz an der High Street. Die dicke Gans war mindestens dreihundert Jahre alt, und das sah man ihr auch an, aber es war ihr trotzdem gelungen, sich eine Art verblichener Eleganz zu bewahren, was an ihrem steilen Schieferdach und den blitzblank geputzten Fenstern lag.
    Der Schankraum war sehr klein, und es standen nur vier Tische mit Bänken darin, die so alt waren, dass sie ganz wurmstichig aussahen.
    Ein Mann mit einem mächtigen Bauch und einer fleckigen Schürze trat an ihren Tisch und bellte: »Was kann ich für Euch tun, Männer?«
    »Etwas zu essen, bitte«, sagte Gray, »für meinen Bruder und mich.«
    »Und viel«, ergänzte Jack, wobei sie sich bemühte, so tief wie möglich zu sprechen.
    »Ihr seid aber ein hübsches kleines Hühnchen, was?«, sagte der Wirt und rieb sich mit der Hand über seinen Bauch. »Selbst mit Eurem zerschlagenen Gesicht.«
    »Ich bin kein kleines Hühnchen, ich bin ein kleiner Hahn.«
    Der Wirt musterte sie beide und sagte dann: »Ihr seht so aus, als hättet Ihr in Euren Kleidern geschlafen. Was habt Ihr mit Eurem Gesicht gemacht, junger Mann? Hat Euer Bruder Euch verprügelt?«
    »Mein Bruder ist vor eine Tür gelaufen«, erwiderte Gray. »Und wir haben tatsächlich in unseren Kleidern geschlafen. Etwas zu essen, bitte. Und viel davon. Mein Bruder wächst noch.«
    »Ja, ja, immer mit der Ruhe.« Er blickte sie wieder stirnrunzelnd an. »Man sollte ja denken, dass Mrs. Harbottles gutes Essen Euren Bruder wachsen lässt, aber ich glaube eher nicht. Ach, ich weiß, ich bringe eine von Millies gebratenen Schweinshaxen, das wird dem Jungen gut tun.«
    »Danke, Sir«, sagte sie.
    Gray bemerkte, dass sie dem Wirt hinterher starrte. »Was ist los?«
    »Ich habe noch nie zuvor einen solchen Mann gesehen.

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