Scharfe Pranken
wieder nach ihr. Er hatte bereits ihre Taille umfasst, bevor sie es bemerkte und sich wieder befreien musste.
»Nein! Essen!« Sie verschwand im Badezimmer. »Ich bin in einer Minute wieder da.« Sie kam jedoch schon nach wenigen Sekunden wieder herausgeschossen. »Oh, mein Gott.«
»Was ist?«
»Wir haben die Dusche angelassen.«
»Das ist gar nicht gut für die städtische Wasserversorgung.«
»Danke, Mr. Hilfreich.« Sie ging zurück ins Bad und schloss die Tür hinter sich. Bo rappelte sich mit Mühe auf und sammelte die leeren Verpackungen und benutzten Kondome ein, die er wie irgendein Heide durch die Gegend geworfen hatte – er war davon überzeugt, dass Heiden grundsätzlich unordentlich waren. Da er seine benutzten Kondome nicht in der Küche entsorgen wollte, ging er nackt nach draußen und warf sie in eine der großen Mülltonnen, die hinter dem Haus seines Onkels standen. Er schätzte, dass die Temperatur bei knapp minus dreißig Grad lag, und ging wieder zurück ins Haus. Kein Wetter für Weicheier oder Katzen.
Er schloss die Hintertür und ging durchs Wohnzimmer ins Esszimmer. Dort blieb er stehen und ging wieder ein paar Schritte zurück. Blayne trug eines seiner Highschool-Hockeytrikots, sonst nichts. Allerdings brauchte sie auch nicht viel mehr, da es ihr bis über die Knie reichte. Außerdem hatte sie die CD -Sammlung seines Onkels entdeckt. Bo hatte sie immer gern als »Kollektion subversiver Musik« bezeichnet, nur weil es den alten Mistkerl auf die Palme brachte.
Blayne hatte irgendeine französische Alternative-Band aufgelegt, die über Tokio sang. Sie tanzte durch das Wohnzimmer seines Onkels, als hätte sie nicht die letzten zwei Stunden damit verbracht, Bos Kopf oder Schwanz in ihrem Schoß zu empfangen. Woher sie all die Energie nahm, war ihm ein Rätsel.
»Komm schon«, sagte sie und sprang auf die Couch. »Tanz mit mir.«
»Ich dachte, du hättest Hunger.«
»Ich bin nie zu hungrig, um zu prätentiöser französischer Musik zu tanzen!« Nur Blayne verstand es, eine Beleidigung in ein Kompliment zu verpacken.
»Ich kann dazu nicht tanzen«, erwiderte Bo und durchquerte das Zimmer.
»Bist du einer von diesen Typen, die nicht tanzen?«
»Nicht jeder besitzt deine Schamlosigkeit.« Er widmete sich der Sammlung seines Onkels und konzentrierte sich dabei auf den hinteren Bereich, da er nach einer CD suchte, die ihm gehörte, nicht Grigori. Als er sie fand, legte er sie in den CD -Player. »Nachdem ich dieses Messie-Nest aufgeräumt habe, das du als deine Wohnung bezeichnest …«
»Hey!«
»… kenne ich deinen Geschmack.«
Blaynes Kinnlade klappte herunter, als sie die ersten Töne des Songs hörte. Er stammte vom Soundtrack eines sehr alten Films, den kaum jemand kannte.
»Wie … wie bist du da rangekommen?«
»Raubkopie. Nicht leicht zu kriegen.«
»Ich weiß! Ich versuche schon seit Jahren, den zu finden.«
Wenn es eines gab, wofür Bo schon immer eine Schwäche gehabt hatte, dann für die Musik und schlechte Kultfilme aus den Sechzigern. »Hot Rods to Hell«, »Riot on Sunset Strip« und sämtliche Streifen mit Hippies, lächerlichem Drogenmissbrauch und strengen Eltern … das war genau sein Ding. Und »Wild in the Streets« gehörte zu seinen absoluten Lieblingsfilmen. Er hatte auf seinem alten Computer und mithilfe seines unendlich langsamen Modems seine gesamte Highschool-Zeit damit verbracht, nach dem Soundtrack zu suchen. Irgendwie hatte er geahnt, dass niemand außer Blayne »Fourteen and Fight« würde zu schätzen wissen, diese großartige Hymne jugendlicher Rebellen – und er hatte recht behalten. Sie kannte das Lied nicht nur, sie konnte es sogar auswendig mitsingen.
Blayne schmetterte die erste langsame Zeile mit, und er schmetterte ihr die zweite entgegen. Noch immer stand sie auf der Couch seines Onkels, und Bo stellte sich vor sie. Normalerweise hätte er ihr das niemals durchgehen lassen, schon allein, weil es nicht seine Couch war und sie bereits den Couchtisch des armen Mannes zertrümmert hatten. Aber sie war nun mal Blayne und … und sie konnte »Fourteen to Fight« auswendig!
Und wenn ein Mann eine Frau wie sie fand, dann ließ er sie über das komplette Mobiliar seines Onkels und auch sonst überallhin hüpfen, wohin es ihr beliebte.
Marci bestand darauf, nach den Kindern zu schauen, da sie ohnehin einen nächtlichen Spaziergang machten. Die harten Winter in Maine machten den Bären von Ursus County nichts aus, sofern sie hier
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