Schartz, S: Elfenzeit 15: Die Goldenen Äpfel
Bewusstseins, dass er ohnehin zum Tode verurteilt war, wehrte er sich nun. Immer mehr Pseudopodien bildeten sich aus und streckten sich abwehrend. »Nein ... nein ... Das kannst du nicht tun! Ich darf meine Arbeit nicht verlassen, sie ist noch nicht beendet ...«
»Doch, das ist sie«, sagte Anne. »Du kannst diesen Raum nicht mehr verlassen.«
Robert seufzte innerlich. Manchmal war Anne so sensibel wie ein Nilpferd. Natürlich brachte das den Archivar erst recht auf. Er fing an zu schreien. In die gesamte Masse kam Bewegung, er bildete immer längere Tentakel aus und fing an, um sich zu schlagen.
»Er ist wahnsinnig!«, rief Anne und brachte sich vor den peitschenden Schlingarmen in Sicherheit.
Sie verstand es wohl wirklich nicht. Dabei war es nur zu begreiflich. So alt zu werden und die letzten tausend Jahre in absoluter Einsamkeit und Dunkelheit zu verbringen, dann zu mutieren und zuletzt permanenter Todespein ausgesetzt zu sein – es war ein Wunder, dass der Archivar überhaupt noch kommunikationsfähig war.
Vor allem litt er unter der Erkenntnis, dass es, selbst wenn die Anderswelt gerettet werden konnte, für ihn zu spät war. Mit ihrer letzten Bemerkung hatte Anne ihm unbewusst noch einmal deutlich gemacht, wie sinnlos seine Existenz geworden war und dass es keinerlei Hoffnung mehr für ihn gab. Sie hatte ihm das genommen, was sein Leben bedeutete.
Robert packte seine Frau und zog sie mit sich, außer Reichweite der Tentakel, deren Enden sich nun zu scharfen, teils gezackten Messern ausbildeten.
»Und jetzt?«, rief er.
Anne nickte grimmig. »Ich werde ...«
Tom hob die Hand. »Liebe Anne, du kannst ihn nicht aufhalten, denn wer weiß, was passiert, wenn du deine Magie gegen diesen unkontrollierten Wahnsinn einsetzt. Warum bin ich wohl mitgekommen? Das ist jetzt mein Job.«
»Tom, was hast du vor?«, rief Robert, doch der Journalist hörte ihn nicht mehr. Er war bereits auf dem Weg zum Archivar.
Tom war sich keineswegs sicher, ob er das Richtige tat, und ihm schlotterten gewaltig die Knie. Aber er konnte das Leid dieses Wesens nicht mehr länger ertragen. Vor allem, weil er im Gegensatz zu Robert und Anne sehen konnte, wie sehr sich der Archivar nach Erlösung sehnte. Sein Kampf war nur noch ein letztes verzweifeltes Aufbäumen, das völlig natürlich war, solange auch nur noch ein Funke Lebenswillen in ihm steckte. Deswegen brauchte er auch Hilfe, um seinen verdienten Frieden zu finden.
Tapfer schritt Tom voran und erwartete trotzdem, jeden Moment von einem peitschenden Tentakelmesser entzweigeschnitten zu werden.
Aber nichts geschah. Die Tentakel sausten über ihn hinweg, ohne ihm zu nahe zu kommen. Und je weniger Raum er zwischen sich und die riesige Masse brachte, desto mehr Ruhe kam in die Bewegungen, und dann fingen die Tentakel sogar an, sich zurückzuziehen.
Die blinden Augen richteten sich auf Tom, und er blickte zurück. Er konnte das Gesicht erkennen, das der Elf vor seiner Verunstaltung besessen hatte. Sowohl die Larve als auch das wahre Gesicht dahinter. Ihn schreckte das Monstrum vor ihm nicht mehr, denn er sah die Wahrheit. Ein sanftes Geschöpf, der Sammlung historischer Relikte hingegeben, sein ganzes Leben lang. Nie hatte es sich an irgendeinem Krieg beteiligt, nur selten hatte es Kontakt zu Artgenossen gehabt.
Und der Elf wusste, dass Tom sein Leiden und sein wahres Wesen sehen konnte. Er spürte, wer sich ihm da näherte, und auf einmal wurde er ruhig, und die Furcht wich von ihm. Tom konnte es fühlen.
Die hervorquellende Magie stockte in ihrem Fluss und versiegte. Die Wunden schlossen sich.
Tom streckte die Hand aus und berührte sanft den entstellten Körper des Elfen.
Ein Seufzen wehte durch die Halle, und es klang wie
danke.
Dann löste sich der Archivar in einer glitzernden Wolke auf.
18 Ladon
Als er in die Ebene hinunterschritt, stellte der Getreue fest, dass das Moos lebte. Es wich dem Tritt seiner Stiefel aus, gleichzeitig versuchte es, von den Seiten mit flachen grünen Fingern nach ihm zu greifen.
Es schmatzte, je weiter er vorankam. Der Boden unter ihm wurde immer weicher und nachgiebiger, als würde der Moosteppich auf dem Sumpf schwimmen. Wo die Stiefel des Getreuen ihn berührten, bildeten sich bald kleine Wellen, die sich ringförmig verliefen.
Plötzlich gab es einen Knall neben ihm. Das Moos wurde von einer Blase unter ihm aufgedrückt und platzte, und übler Gestank nach Schwefel und Pestilenz breitete sich aus.
»Und da werde ich als Makel in
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