Schatten Blut
Feder?
Perplex hielt ich inne und starrte auf die tiefschwarze, schimmernde Feder in meiner Hand. Mein Herz begann zu rasen. Wo kam die denn auf einmal her? Und vor allem, wie kam sie in meinen Korb?
Schlagartig erinnerte ich mich an die weiße Feder vom Vormittag. Hatte ich sie nicht auf den Küchentisch gelegt? Suchend hob ich den Korb an, aber darunter war sie nicht. Und auch nicht unter dem Tisch. Ich blickte mich um. Erfolglos. Nirgends war eine große, schneeweiße Feder zu finden. War Julie während meiner Abwesenheit hier gewesen und hatte sie vielleicht weggeworfen? Ich schaute in den Mülleimer. Fehlanzeige. Also ging ich in Julies Schlafzimmer, um nachzusehen. Alles sah unverändert aus. Und es fehlte weiterhin ihre Kostümjacke an der Garderobe. Merkwürdig.
Nachdenklich drehte ich die Feder in meiner Hand. Sie erinnerte mich stark an eine Rabenfeder. Je nachdem, wie sie zum Licht gehalten wurde, schimmerte sie entweder tiefschwarz oder leicht bläulich. Eigentlich war sie recht hübsch. Perfekt geformt, fest und doch weich, überhaupt nicht ausgefranst. Würde ich den Kiel anspitzen, könnte ich damit sogar schreiben.
Nun ja, da ich sie nun einmal hatte, konnte ich sie auch behalten. Daher klemmte ich sie mir einfach hinters Ohr, packte den Rest des Einkaufs aus und ging in mein Zimmer, um auch dort aufzuräumen. Mein Bettzeug lag noch immer aufgetürmt wie eine kleinere Ausgabe des Mount Everest auf meinem Bett, die Schneezone wurde durch mein T-Shirt dargestellt. Der Jogginganzug dünstete am Fußende weiter vor sich hin, aber zumindest die Laufschuhe lüfteten auf der Fensterbank aus. Ich hob meinen Laptop auf und stellte ihn auf den Couchtisch, dann wandte ich mich dem Bett zu.
Das T-Shirt hochnehmend, staunte ich nicht schlecht, als darunter die weiße Feder zum Vorschein kam. Fragen Sie mich jetzt bitte nicht, wie die da hingekommen ist! Als ich am Vormittag meine Klamotten zum Türmchen drapiert hatte, war überhaupt keine Feder da gewesen. Und jetzt hatte ich zwei davon!
Da es allmählich dunkel wurde, machte ich das Licht an, setzte mich aufs Sofa und betrachtete beide Federn. Sie waren nahezu identisch. Gleich groß, gleich geformt, perfekt vom Kiel bis zur Spitze. Bis auf die Farben. Gleichfalls ungewöhnlich war die Art, wie ich zu ihnen gekommen war. Eine unter der Tür, die andere im Korb. Jemand musste sie dort ungesehen hingelegt haben. Aber wer? Und warum?
»Was bitte, soll mir das jetzt sagen.« fragte ich in den leeren Raum hinein. Und erhielt natürlich keine Antwort. Seufzend legte ich beide Federn zusammen auf den Tisch und machte mich daran, wenigstens etwas Ordnung in das Zimmer zu bekommen. Nachdem das geschehen war, holte ich mir aus der Küche den Weißwein, ein Glas und eine Schale mit Erdnüssen. Dann lümmelte ich mich aufs Sofa und machte den Fernseher an. BBC brachte gerade wieder einen Bericht über das Königshaus und die neuesten Eskapaden der Prinzen. Also zappte ich weiter, bis ich schließlich bei CNN landete und mir das Interview mit Al Gore über die Klimaerwärmung ansah. In einer Werbepause schlüpfte ich in mein Schlafshirt und kuschelte mich unter die dünne Wolldecke. Mit dem Glas Wein in der Hand zappte ich nach dem Interview weiter und landete schließlich mitten in einem total schnulzigen Liebesfilm. Die typische Story: Sie trafen sich, jemand intrigiert, sie trennten sich und bekamen am Ende doch einander zurück.
Kennen Sie das, wenn man mit den Darstellern mitfiebert und teilweise auch zum Fernseher ruft: »Mann, bist du blöd? Geh doch endlich hin.« wenn der Liebste wieder mal den Bogen nicht bekommt? Und wie dann heimlich die Tränen rollen, wenn sie sich am Ende doch bekommen und zeitgleich das Ego jubiliert, weil die böse Intrigantin ihr Fett wegbekommt? Hach, ich liebte diese heile Welt auf Celluloid, wo alles so einfach war.
Meine Schwester würde mich wieder hoffnungslos sentimental nennen, würde sie sehen, dass ich verhalten in mein Weinglas schniefte. Ich heule übrigens auch am Ende von Disney Zeichentrickfilmen, das aber nur am Rande.
Während der Abspann lief, füllte ich mein Glas erneut und dachte mit leichter Wehmut über das eben Gesehene nach. Wie immer triumphierte die Liebe, und das Böse verlor. Mein Blick fiel auf die beiden Federn und abrupt saß ich aufrecht. Schwarz gleich Böse, Weiß gleich Gut? Ein leichter Schauer lief über meinen Rücken. Vorsichtig stellte ich das Glas ab und nahm die Federn in die Hand.
Sie
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