Schatten Blut
noch mit irgendjemanden ein Gespräch führen. Spazierengehen kam auch nicht in Frage, ich durfte ja jeden Morgen Spazieren rennen . Und in diesen Pausen wurde mir Julies Tod oft schmerzhaft gewahr. Ich vermisste sie. Vermisste ihre Einkaufsorgien, ihren Esprit und ihr Lachen, die Art, wie sie Dinge managte. Ich vermisste sogar ihre Launen.
Mir war bewusst, dass Dad auf seine Weise um sie trauerte. Irgendwie hatten wir stillschweigend darüber entschieden, Julie nicht zu erwähnten. Zu stark wog der Verlust. Jeder ging damit auf seine eigene Art um. Mich selbst packte dermaßen oft die Wut, dass es mir den Atem raubte. Immer wieder sah ich Lagat vor mir, wie er seine Zähne in ihren schlanken Hals schlug und sie dadurch tötete. Und immer wieder schwor ich mir, dass dieser Mord nicht ungesühnt bleiben durfte. Ich bin nie ein rachsüchtiger Mensch gewesen, doch stellte Julies Ermordung eine Ausnahmesituation auf meiner moralischen Skala dar, die meine Emotionen rechtfertigte. Daher wünschte ich mir inständig Lagats Vernichtung, und die derjenigen, die mit ihm gemeinsame Sache gemacht hatten. Doch solange ich untätig bleiben musste, weil mir das Wissen und Können fehlte, schob ich diese Gedanken weit von mir. Es musste warten bis es an der Zeit war. Und so hing ich weiter meinem Trübsinn nach und betrauerte mich selbst.
Inzwischen war es mir sogar egal, ob Darian sein Versprechen einhalten und mir einen Diaprojektor besorgen würde. Ich wollte nur noch eines: In Ruhe schlafen. Am liebsten rund um die Uhr.
Für den heutigen Abend hatte Darian ein Extratraining angesetzt, weil er mit meiner nachmittäglichen Leistung sehr unzufrieden gewesen war. Sehr witzig! Jason hatte mir mit dem Holzstab dermaßen einen Schlag in die Kniekehlen verpasst, dass es mich rückwärts umgeschmissen hatte. Es wäre wirklich nett gewesen, vorher den Hinweis zu erhalten, dass der alte Mann eine Ausbildung in Japan genossen hatte. Aber nein! Sie ließen mich voll auflaufen. Und jetzt konnte ich gar nicht mehr laufen. Mein Rücken fühlte sich an wie eine einzige Prellung, meine Kniekehlen schimmerten sicher schon in den buntesten Farben.
Zweimal schon hatte Jason an meine Tür geklopft und mich darauf hingewiesen, dass Darian auf mich wartete. Na und? Sollte er ruhig warten! Für heute, und wahrscheinlich auch die nächsten Tage, verweigerte ich den Dienst. Desertieren konnte ich vergessen, wer wusste schon, was außerhalb dieser vier Wände auf mich wartete. Mein Gefühl jedenfalls ließ mich wissen, dass es nichts sei, was ich wirklich wissen wollte!
Abermals klopfte es an meine Tür, diesmal recht resolut. Ob Jason wohl ärgerlich wurde? Das konnte ich mir fast nicht vorstellen. Egal was er tat, man sah ihm selten eine Gefühlsregung an. Ich war mir beinahe sicher, dass er sogar Eiswürfel pinkeln konnte.
Es klopfte nochmals, also machte ich mir zumindest die Mühe zu antworten: »Gib es auf! Ich werde keinen Fuß mehr vor die Tür setzen!«
Die Tür schwang auf und Darian stand mit verschränkten Armen davor. »Diese Antwort würde Jason jederzeit akzeptieren, Faye. Doch ich bin nicht Jason.«
»Von mir aus könntest du gerade Gott persönlich sein. Und selbst dem würde ich heute eine Absage erteilen. Du bist umsonst gekommen, Darian.«
Er lächelte kalt. »Ich tue niemals etwas umsonst, Faye. Und nun heb deinen hübschen Hintern vom Bett und komm. Ansonsten werde ich dich holen.«
»Schick mir einen süßen Pfleger mit einem Rollstuhl, dann lasse ich es mir vielleicht durch den Kopf gehen!« fuhr ich ihn vom Bett aus an. »Denn falls du es noch nicht bemerkt haben solltest, ich kann mich kaum noch rühren!«
»Deine Stimme funktioniert tadellos«, gab er ungerührt zurück und trat einen Schritt ins Zimmer.
Meine Augen funkelten mörderisch. »Sei froh, dass du weit genug weg stehst, Darian Knight!«
»Was wäre, wenn ich hier stehen würde?« Schon befand er sich direkt vor meinem Bett. »Oder ist es dir hier lieber?« Nun am Kopfende. »Vielleicht hier?« Jetzt auf der anderen Seite des Bettes.
»Bleib einfach nur stehen, Darian. Das reicht schon.«
Es verblüffte mich immer wieder, wie schnell er sich bewegen konnte. Aber so langsam gewöhnte ich mich daran. Da ich auf dem Bauch lag und seinen Positionswechseln mit den Blicken zu folgen versuchte, waren mir die Verrenkungen doch recht unangenehm. Also legte ich mein Kinn wieder auf meine Arme und schloss die Augen.
Das Bett gab neben mir etwas nach und verwundert
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