Schatten der Gegenwart (Für Immer & Länger)
wir brauchten, nie mehr als nötig.
Vielleicht gab es für den einen oder anderen in diesen Hallen noch Hoffnung,
ein glückliches Ende in einer ausweglosen Situation.
Wie der Junge, der als einzig
Überlebender nach einem Flugzeugabsturz zurückgeblieben war, während 186
Passagiere ihr Leben gelassen hatten. Ich hatte diesen Vorfall damals nur in
der Zeitung gelesen, zu einer anderen Zeit, und erst jetzt wurde mir wirklich
bewusst, was dieses ›Wunder‹ tatsächlich bedeutete hatte. Wenn niemand einen
holte, dann konnte das Leben auch nicht genommen werden.
Heute waren die Chancen hierfür
allerdings gering. Es war ein Ort nicht weit entfernt vom Trubel und Leben der
Stadt. Schon seit einigen Wochen hatte es im näheren Umkreis keine solch große
Quelle mehr gegeben. Andere würden bald auftauchen und sie hatten nicht so viel
Mitgefühl wie wir.
Kapitel 17
Der Schweiß rann mir in Strömen die
Stirn hinunter und vernebelte mir die Sicht auf die heran schnellenden Schläge.
Im Schatten waren es gefühlte fünfzig Grad, aber wir standen nicht im Schatten,
sondern trainierten in der prallen Sonne. Das Blut unter meiner Haut begann bereits
zu kochen und ich fühlte mich wie ein gegartes Steak, knusprig aber schon ein
bisschen verbrannt.
Wir hatten im Garten hinter der Villa
einen Trainingsring errichtet. Wobei diese Beschreibung vielleicht etwas zu
hoch gegriffen war. Vielmehr hatten wir das verwilderte und bereits meterhoch
wuchernde Gras in einem großen Kreis plattgedrückt, um so einen begrenzten
Bewegungsradius zu simulieren. Welcher Kampf machte schon Sinn, wenn man dem
Gegner weglaufen konnte?
Das waren alle Regeln. Der Kreis durfte
nicht verlassen werden, ansonsten war alles erlaubt, wirklich alles.
Meinem alten Ich hätte es bei den
ersten Schlägen von Johann, die mich an der Schläfe getroffen hatten,
wahrscheinlich direkt in den Himmel geschickt. Heute, in meinem neuen Leben und
mit meinem anderen Körper, erschütterten sie mich zwar, manchmal begann ich
auch zu taumeln, aber ihre Wirkung verging ebenso schnell, wie sie gekommen
war. In Bruchteilen von Sekunden klang der Schmerz ab und mit ihm auch das
betäubende Gefühl der drohenden Ohnmacht.
Seit ich ein Teil dieser Gruppe
geworden war, hatten wir noch nie solch ein Training absolviert. Allerdings
schien es etwas zu sein, dass allen außer mir durchaus vertraut war. Mit einer
fast beleidigenden Selbstverständlichkeit hatten sie bereits am Morgen die
Wiese vorbereitet, während ich noch genüsslich in meinem Bett geschlummert
hatte.
Bisher hatten wir immer nur Sprintduelle
oder Ausdauerläufe bestritten, denn Schnelligkeit war unsere wichtigste
Eigenschaft. Wer es nicht schaffte, schnell genug bei einem Opfer zu sein, dem
kamen andere zuvor und das bedeutete Hunger.
Ich hatte erfahren, was es bedeutete
zu hungern. Zwar hatte ich selbst mich dazu entschlossen, aber ich erinnerte
mich an das Gefühl, keinerlei Kraft oder Stärke zu empfinden. Etwas, auf das
ich in meinem weiteren Leben nur zu gern verzichten konnte.
Ich sah, wie Johann zum nächsten
Schlag ausholte. Anfänglich hatte er mich fast immer getroffen. Doch dann
erkannte ich seine Schwachstelle und den Punkt, an dem er sich selbst verriet. Kurz
bevor er zum nächsten Schlag ausholte, zuckte das jeweilige Augenlid nach oben.
Alles was ich tun musste, war ihm
tief in die Augen zu sehen und in letzter Sekunde auszuweichen. Während er fast
ruderartig mit seinen Armen durch die Luft schleuderte, hüpfte ich von einer
Seite zur Nächsten und ließ seine Bemühungen mich niederzustrecken im Keim
ersticken.
»Ich denke das reicht fürs Erste,
macht eine Pause Jungs«, rief uns Richard zu und zeigte neben sich. Er hatte
zusammen mit Ria auf einem umgefallenen Baumstamm Platz genommen und deutete
uns, es ihnen gleichzutun.
Johann, der gern noch weiter versucht
hätte, es mir zu zeigen, ließ erschöpft die Schultern sinken. Er schnaubte wie
ein Pferd und seine Brust hob sich hämmernd auf und ab. Mir ging es nicht
besser. Die Ausweichtaktik war zwar effektiv gewesen, aber ich spürte, wie mir
meine Muskeln die ständigen schnellen Wechsel übel nahmen.
»Meine Güte, und ich dachte schon Ria
sei schnell«, stammelte Johann bei jedem Atemzug und reichte mir zur Gratulation
die Hand. Ich konnte mir ein Lächeln bei seinem Kommentar nicht verkneifen und
gemeinsam gesellten wir uns zu den anderen.
Ein flauschiges Handtuch traf mich
eher unsanft mitten im Gesicht und als ich meinen
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