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Schatten der Gegenwart (Für Immer & Länger)

Schatten der Gegenwart (Für Immer & Länger)

Titel: Schatten der Gegenwart (Für Immer & Länger) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Norda
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den Sorgenfalten absah, die zwar schon merklich zurückgegangen waren, aber sich
immer noch leicht auf seiner Stirn abzeichneten. Immer wieder zog er mit einer
mich fast zur Weißglut treibenden Leichtigkeit ein Blatt aus seiner Tasche und
überflog deren Inhalt.
    »Was machen wir hier eigentlich?«,
brüllte ich zu ihm herüber und bemerkte selbst, dass meine Lautstärke völlig
überzogen war.
    »Wir helfen«, antworte er ruhig, als
würden wir gerade bei einem Tässchen Tee zusammen sitzen, und sah dabei nicht
einmal von seinen Dokumenten auf.
    »Ja aber-«, wollte ich gerade
ansetzen zu widersprechen, aber er hob nur abwehrend die Hand.
    »Ich weiß, was ich tue. Also vertrau
mir.«
    Seine Selbstsicherheit raubte mir
kurz den Atem und dabei schien er mein Zögern sofort zu bemerken. Mit einem
Seufzen ließ er den Stapel in seinem Rucksack verschwinden und richtete seinen
Blick fest auf mich.
    »Du tust es nicht, nicht wahr? Du
vertraust mir nicht, habe ich Recht?«
    Natürlich tat ich das nicht! Ja, er
hatte mich in seine Gruppe aufgenommen, aber niemand hatte mich gefragt, ob ich
das denn auch wollte. Er hatte mich in die Regeln eingeweiht, mir gezeigt, wie
man damit umging. Aber niemals hatte ich auch nur eine Wahl. Ich hatte nicht
die Wahl, ob ich das hier überhaupt wollte und ich hatte nicht die Wahl, ob ich
es mit ihnen tun wollte.
    »Du musst mir glauben, dass ich weiß
was ich tue. Und du musst mir an der Stelle vertrauen, dass es das Beste für
euch ist, nicht alles zu wissen«, sprach er in ruhigem Ton. Das ihn mein
fehlendes Vertrauen schmerzte, konnte er allerdings nicht überspielen. »Du
kannst gehen, wenn du willst. Niemand wird dich zwingen daran Teil zu haben und
niemand würde es dir vorwerfen. Am Wenigsten ich selbst.«
    Es war nicht auszuhalten. Jedes Wort,
das seine Lippen verließ, klang wahr, aufrichtig und ehrlich. Wie sollte ich es
ihm vorwerfen? Wie konnte man seine Wut auf jemanden projizieren, der einem
keine Angriffsfläche bot?
    Ich konnte darauf nicht antworten. Ich
wusste nicht wie, geschweige denn was. Ich konnte gehen, aber würde ich es
wirklich tun? Würde ich meine neugewonnene Familie einfach so im Stich lassen?
Es gab keine Wahl, denn da war keine Kreuzung, nur eine immer nach vorn
gerichtete Einbahnstraße.
    Beinah unmerklich verlangsamte
Richard unser aller Tempo. Wir verließen das kleine Waldstück, das uns die
schnelle Reise ermöglicht hatte, und gelangten an einen langgestreckten Acker. Am
Horizont konnte man die Lichter der Stadt sehen. Innerhalb von wenigen Minuten
hatten wir mehr als zweihundert Kilometer hinter uns gelassen. Es war immer
noch ein atemberaubendes Gefühl, auch wenn ich die davon anfänglich begleitete
Übelkeit überwunden hatte.
    Das Adrenalin der Reise pulsierte
durch meine Adern und ließ meine Sinne schärfer als zuvor arbeiten.
    »Wir sind gleich da. Dort hinten, die
Lagerhalle, das ist unser Ziel«, weihte uns Richard ein und zeigte auf eine
Stelle unweit hinter den Ackergrenzen. »Seid ihr bereit?«
    Er ließ seinen Blick durch unsere
kleine Runde schweifen. Ohne zu zögern stimmten Ria und Johann zu. Ich war der
Letzte, dem er tief in die Augen sah – und auch ich nickte.
    Ich hatte keine Wahl. Ich konnte sie
nicht allein gehen lassen. Eine Gruppe, egal auf welche Seite sie stand,
bedeutete Gefahr und ich würde meine neue Familie nicht allein damit lassen.
Ich hatte nur noch sie.
    In einer langsamen Prozession
schlichen wir über das Stoppelfeld. Nichts erinnerte mehr an unsere rasante
Anreise und doch war der Nervenkitzel ungebrochen. Ich hörte jedes Rascheln,
jedes Knistern, sah jede noch so kleine Veränderungen und schmeckte sogar die
Spuren des Staubes auf meinen Lippen, der durch uns aufgewirbelt wurden.
    Vor uns erstreckte sich eine
scheinbar ungenutzte Lagerhalle, die am Rande eines ebenfalls verlassenen
Industriegebietes lag. Der Bau war verwinkelt und es drang kein Licht nach
außen.
    Kein normales Licht jedenfalls. Unseren
Augen bot sich ein anderes Schauspiel. Ich zählte insgesamt acht Lichter, wobei
manche etwas heller leuchten als andere. Sie waren klein, zierlich. Ich musste
schlucken, um nicht direkt laut aufzuschreien. Richard, den dieser Anblick
ebenfalls nicht kalt ließ, legte beruhigend seine Hand auf meine Schulter und nickte.
    Es waren die Silhouetten von Kindern.
    Ihre Intensität veränderte sich kaum.
Wahrscheinlich blieben ihnen noch gut drei Tage, bis ihre Geschichte beendet
war. Aber sie würde enden,

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