Schatten der Gegenwart (Für Immer & Länger)
die Ruhe selbst.
Mit verschränkten Armen stand er da und blickte ebenfalls nach oben.
Aber wir hatten etwas übersehen, da
war etwas – da war jemand .
Eine Sekunde später sah ich ihn. Er
hangelte sich an den oberen Balken an der Decke entlang und war bereits an der
anderen Seite des Raumes angelangt. Ich hatte Recht gehabt. Eine Gruppe, egal
für welche Seite, es würde auch andere von uns anlocken und er war einer von
ihnen.
Im Gegensatz zu den meisten anderen,
denen ich seither begegnet war, und auch im Gegensatz zu uns, trug er kein Schwarz.
Eigentlich war es egal, was wir anhatten, schließlich waren wir für das normale
Auge nicht sichtbar, aber es hielt sich hartnäckig das Gerücht, dass man mit
schwarzer Kleidung noch etwas unkenntlicher war.
Mein Gegenüber schien kein Anhänger
dieses Aberglaubens zu sein. Er war in einen weißen Trainingsanzug gehüllt. Nur
ein Mal hatte ich bereits einen von uns in einem weißen Anzug gesehen. Ich war
mir sicher, dass es der Gleiche war – und damals war er nicht allein unterwegs
gewesen, sondern zu dritt.
Wut stieg in mir auf, als ich an
unsere erste Begegnung dachte. Was auch immer er hier wollte, gut war es auf
keinen Fall.
Ich konnte gerade noch sehen, wie er
sich gekonnt durch eines der angrenzenden Nischen zwängte und so in einem der
angrenzenden Räume verschwand.
Ich blickte zu den anderen hinunter,
aber sie schienen von unserem Besucher nichts bemerkt zu haben. Noch immer
starrten sie zu mir nach oben und warten darauf, dass ich mich ihnen anschloss.
Behände sprang ich über die Brüstung,
versuchte dabei allerdings, meinen Blick nicht von der Nische, in die er
verschwunden war, zu lösen. Dorthin mussten wir auch, soviel stand fest.
Ich drängte mich an meinen Begleitern
vorbei. Ich musste hinter ihm her, so schnell wie möglich. Aber ich kam nicht
weit, da hatte mich bereits eine kräftige Hand am Arm gepackt – Johann, und er
drehte mich zu sich, dass ich genau in Richards Richtung sah. Braver Hund.
»Wo willst du hin?« Richard Stimme
war weniger als ein Flüstern. Ich war mir nicht einmal sicher, ob er wirklich
sprach oder nur die Lippen bewegte. Dafür hörte ich seine Stimme in meinem
Kopf, in meinen Gedanken umso präsenter.
»Er ist hier!«, zischte ich und
versuchte mich dabei aus Johanns Griff zu befreien.
Er verstand sofort wovon ich sprach.
Ganz im Gegensatz zu den anderen beiden, die nun verwirrte Blicke austauschten.
»Ist er allein?« Seine Tonlage in
meinem Kopf war nicht mehr so streng wie zuvor, aber immer noch angespannt.
Ich zuckte nur mit den Schultern. Mit
einer leichten Kopfbewegung gab er Johann zu verstehen mich freizulassen und
einen Moment später war der Druck um meinen Arm verschwunden.
Während die anderen noch immer
verwirrt dreinblickten, drehte ich mich auf dem Absatz um und war eine Sekunde
später am anderen Ende der Halle. Unter der Nische befand sich eine
geschlossene Metalltür, deren Lack bereits an einigen Stellen abgeplatzt war.
Die anderen ließen nicht lange auf
sich warten und wieder war es Richard, der als erstes die Umgebung erkundete.
Behutsam öffnete er die Tür. Diesmal allerdings nicht so geräuschlos – ein
knarrendes Geräusch durchzuckte den Raum und ließ mich erstarren. Auch die
anderen hielten die Luft an, während Richard seinen schlanken, aber
durchtrainierten Körper durch den entstandenen Spalt schob.
Ich drängte mich dicht hinter ihm
hindurch. Vor uns erstreckte sich eine weitere Lagerhalle. Aber im Gegensatz zu
der, die wir soeben verlassen hatten, war diese keinesfalls leer.
An der gegenüberliegenden Wand standen
zehn Hundezwinger. Die zum Teil rostigen Metallstangen reflektieren das fade
Licht der Kerzen, die um sie herum angebracht waren. Das Leuchten war nun
besser zu erkennen, als noch von außen. In den Zwingern steckten keine Hunde.
In den Zwingern steckten die Leben, deren Schicksal bereits ein Ende enthielt.
In den Zwingern steckten Kinder.
Ihre Körper waren ausgezerrt. Man
konnte beinah die Knochen unter ihren dünnen Leibchen zählen. Jedes von ihnen
lag in einer eigenen Zelle und kauerte in der hintersten Ecke ihres beengten
Gefängnisses. Ein leises Schluchzen wehte uns entgegen und eine harte Klammer
bildete sich um mein hämmerndes Herz.
Was hatte Richard hier nur gefunden?
Sonst war niemand im Raum, aber ich
hörte die Stimmen von johlenden Männern. Sie schienen ganz nah, nur eine Wand
entfernt. Und einen Schrei – ein kleiner, verzweifelter,
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