Schatten der Gegenwart (Für Immer & Länger)
lag ich
auf unserem Ledersofa im Wohnzimmer. Ich hörte, wie das Feuer im Kamin
knisterte und spürte einen kalten, nassen Lappen auf meiner Stirn.
Zaghaft öffnete ich die Augen und sah
direkt in Rias Gesicht. Ihre Augen waren rot und geschwollen, Tränen liefen ihr
unaufhörlich die Wangen entlang und alles was sie herausbrachte war ein leises
Schluchzen. Nichts mehr war von der starken, unterkühlten jungen Frau übrig
geblieben. Sie war ein Häufchen Elend, dass unablässig meine Stirn mit einem
nassen Tuch abtupfte.
Ich versuchte mich aufzurichten, aber
meine Arme bestanden noch immer aus Gummi und wehrten sich eisern gegen meine
Bemühungen. Zwei kräftige Arme umfassten mich von hinten und zogen mich ein
Stück nach oben, so dass mein Oberkörper an der Rückenlehne Platz fand.
»Mach langsam mein Freund«, sagte Johann
und stellte sich neben Ria, die vor mir auf dem Boden kniete und mich hilflos
ansah.
Es war kein böser Traum gewesen. Alles
in mir erinnerte sich an das, was geschehen war. Mochte es Minuten, Stunden,
Tage her sein – ich hatte keinerlei Zeitgefühl mehr. Ich wusste nicht, wie
lange ich schon hier gelegen hatte. Aber ich wusste, warum. Sie hatte Richard
genommen, ausgelöscht. Er war tot – für immer.
Wir hatten ihn verloren. Unseren
Freund, unseren Mentor, unser gutes Gewissen. Derjenige, der in uns nicht nur
das unmündige Werkzeug des Todes sah. Derjenige, der uns die Hoffnung geschenkt
hatte, selbst entscheiden zu können. Er war fort und wir waren allein.
Die Trauer, die Machtlosigkeit, die
Leere die mich erfüllte spiegelte sich auch im Anblick der anderen beiden
wieder. Jetzt waren wir nur noch zu dritt und der wichtigste Teil war uns
genommen worden. Derjenige, der uns zu dieser Einheit gemacht hatte. Der immer davon
gesprochen hatte, dass wir eine Familie waren, füreinander einstanden.
Ria krümmte sich zusammen und vergrub
ihren Kopf an meiner Brust. Ich spürte, wie ihre warmen Tränen mein Shirt
tränkten. Nass, anklagend, flehend, hilflos. Mit einer großen Portion
Anstrengung gelang es mir, meinen Arm um sie zu legen. Ich wusste, wie sie sich
fühlte und wenn ich selbst das Gefühl hatte, den Boden unter den Füßen zu
verlieren, so hoffte ich zumindest ihr ein bisschen Halt geben zu können. Die
letzte Anspannung fiel von ihr ab und sie gab sich vollends ihrem Leid, ihrem
Kummer hin.
Johanns Blicke und die meinen trafen
sich. Er sagte nichts, so wie sonst auch. Doch in seinen Augen hatte sich das
Entsetzen, die Verleumdung, die Abwehr des Geschehenen eingebrannt. Sein
Gesicht war versteinert, als wolle er selbst sich Halt genug sein. Er fühlte
sich allein, mehr noch als wir. Richard hatte ihn nie für seine Zurückhaltung
zurechtgewiesen, hatte ihn immer wieder darin bestärkt, er selbst zu sein. Mich
beschlich das Gefühl, dass nicht wir, sondern einzig Richard der Grund gewesen
war, warum er sich unserer Gruppe angeschlossen hatte.
Waren wir ihm überhaupt Grund genug?
Wir hatten unsere Mitte verloren und
ich konnte den Gedanken daran, noch jemanden zu verlieren, kaum ertragen. Würde
er uns verlassen? Jetzt, da sein Grund abhanden gekommen war? Vertraute er uns
ebenso wie wir ihm?
Obwohl er aufrecht vor mir stand,
sein Rücken durchgestreckt war, die Schultern zurückgezogen – er war gebrochen.
Mochte sein Äußeres auch nur vor Kraft strotzen, innerlich war er ein Haufen
Scherben, die keinerlei Stütze mehr hatten.
Er würde gehen. Er würde uns
verlassen.
Ich sah es in seinen Augen, an seinen
Lippen, an der Stellung seiner Nasenflügel. Er verriet sich mit jeder einzelnen
Zelle und ich konnte es ihm nicht verdenken. Ich selbst hatte niemals versucht,
mich in den stillen Mann einzufühlen. Alles was ich kannte, war sein Name. Ich
kannte seine Geschichte nicht, ich wusste nicht, woher er kam. Aber ich wusste,
dass es einen Menschen auf der Welt gab, dem er sich anvertraut hatte. Diesen
Menschen hatte es gegeben und nun war er fort.
Während ich den einen Arm noch immer
fest um Ria geschlungen hatte, die nichts von dem ahnte, was sich gerade in
ihrem Rücken abspielte, taxierte ich ihn weiter.
Ich versuchte meine verbliebene
Energie in meinem anderen Arm zu bündeln. Ein Kribbeln fuhr ausgehend von meiner
Schulter bis in meine Fingerspitzen. Wie in Zeitlupe erhob sich mein Arm und
reckte sich ausgestreckt Johann entgegen.
Er war verwirrt, starrte auf meine
Hand, unschlüssig was er tun sollte. Seine innere Zerrissenheit ließ sein
linkes Augenlied
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