Schatten der Liebe
Miss Bancroft?«
Meredith wollte schon dankend ablehnen, aber die Arme taten ihr bereits weh, und außerdem hatte sie plötzlich das Bedürfnis, noch etwas durch die Verkaufsräume zu schlendern, bevor sie Lisa aufsuchte. »Danke, Dan, das ist sehr nett«, sagte sie und lud ihm die schweren Aktenordner und die beiden Taschen auf.
Während er in Richtung Aufzug verschwand, strich Meredith sich geistesabwesend den blauen Seidenschal glatt, den sie um die Schultern ihres weißen Mantels gelegt hatte, steckte die Hände in die Taschen und schlenderte dann durch die Kosmetikabteilung. Mehrfach wurde sie von eiligen Kunden angerempelt, aber das Gedränge steigerte ihre gute Laune nur noch weiter.
Sie legte den Kopf zurück und betrachtete einen der zahlreichen hohen weißen Weihnachtsbäume, dessen lichterbesetzte Zweige mit roten Christbaumkugeln und riesigen roten Glasomamenten behangen waren. Festliche Girlanden mit Miniatur-Schlitten und Glöckchen schmückten die verspiegelten Säulen, und aus den Lautsprechern tönten Weihnachtslieder. Eine Frau, die wohl gerade eine Handtasche kaufen wollte, sah Meredith und stieß ihre Freundin an. »Ist das nicht Meredith Bancroft?«
»Das ist sie ganz sicher!« sagte die andere. »Und der Journalist, der geschrieben hat, daß sie wie die junge Grace Kelly aussieht, hat absolut recht!«
Meredith hörte sie, aber sie nahm kaum wahr, was sie sprachen. In den letzten Jahren hatte sie sich daran gewöhnt, angestarrt zu werden. Das Modejournal Women's Wear hatte sie »die Verkörperung kühler Eleganz« genannt, Cosmopolitan ihr das Adjektiv »superschick« zugestanden. The Wall Street Journal titulierte sie »Bancroft's regierende Prinzessin«. Hinter den verschlossenen Türen des Sitzungssaals bezeichnete sie der Vorstand von Bancroft's als »Nervensäge«.
Meredith interessierte nur das Letztgenannte; was Zeitschriften und Zeitungen über sie schrieben, war ihr gleichgültig - es war in ihren Augen nur dann von Bedeutung, wenn sich die Artikel prestigefördernd auf das Geschäft auswirkten. Aber die Meinung des Vorstands war immens wichtig, weil er die Macht hatte, die Realisierung ihrer Träume zu vereiteln, sie daran zu hindern, weitere Bancroft-Filia-len in anderen Städten aufzubauen. Und der Präsident von Bancroft's behandelte sie nicht einen Deut zuvorkommender oder verständnisvoller als die anderen Vorstandsmitglieder. Dabei war er ihr Vater.
Heute jedoch konnte nicht einmal die Auseinandersetzung mit ihrem Vater und dem Vorstand Merediths gute Laune dämpfen. Sie war so überglücklich, daß sie sich Mühe geben mußte, nicht die Melodie des Weihnachtsliedes mitzusummen. Statt dessen tat sie etwas, was sie als kleines Mädchen immer gemacht hatte: Sie ging zu einer der verspiegelten Säulen, gab vor, ihr Haar zu richten und blinzelte in Wahrheit dem Detektiv zu, der sich im Inneren der Säule verbarg, um Ladendieben auf die Spur zu kommen.
Dann drehte sie sich um und ging zur Rolltreppe. Es war Lisas Idee gewesen, jede Etage in einer anderen Farbe zu dekorieren - jeweils mit Bezug auf die dort angebotenen Waren. Meredith hielt den Gedanken für ausgesprochen wirkungsvoll - gerade auch jetzt, da sie im dritten Stock (Pelze und exklusive Damenmode) ankam. Hier waren alle weißen Bäume mit mauve- und goldfarbenem Schmuck behangen. Direkt vor der Rolltreppe saß ein in Weiß und Gold gekleideter Nikolaus vor seinem »Knusper-Häuschen«, auf dem Knie eine Schaufensterpuppe - eine wunderschöne Frau in einem französischen Spitzenneglige, die darüber einen 25 000 Dollar teuren mauvefarbenen Nerzmantel anhatte.
Merediths Lächeln vertiefte sich, als sie erneut merkte, daß die Aura exklusiver Vornehmheit, die diese Etage umgab, zahllose Kunden anlockte, die hier in Luxus und Extravaganz schwelgen wollten. Jeder der großen Modeschöpfer hatte hier seinen eigenen Salon, in dem er seine Kollektion präsentierte. Meredith ging den Hauptgang entlang und grüßte zuweilen mit einem Nicken eine Angestellte, die sie kannte. Dann blickte sie auf die Uhr; es war gleich eins, und sie ging zur Rolltreppe zurück, um Lisa aufzusuchen und ihr die wunderbare Neuigkeit mitzuteilen. Den Vormittag hatte sie im Architekturbüro über den Plänen für die neue Filiale in Houston, Texas, verbracht, und sie hatte einen arbeitsreichen Nachmittag vor sich.
Die Dekoabteilung lag im Souterrain und war eigentlich mehr ein riesiger Lagerraum - vollgestopft mit diversen Arbeitstischen, in
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