Schatten der Liebe
Rolle, die ihm weit besser entsprach als die eines Chauffeurs, denn wenn O'Hara hinter dem Steuer saß, fuhr er, als ob es um den Sieg beim Grand Prix ginge.
»Wann geht's endlich los nach Chicago?« fragte O'Hara.
»Sobald ich dieses verdammte Interview hinter mir habe.«
In diesem Moment klopfte das Scriptgirl an und sagte höflich, daß sie jetzt weiterfilmen könnten.
12
November 1989
Halb Chicago schien auf der Michigan Avenue unterwegs zu sein. Die meisten gingen gemäßigten Schrittes, was zum einen auf den ungewöhnlich milden Novembertag zurückzuführen war, zum anderen auf die Käufermassen, die sich vor dem Stammhaus von Bancroft & Company drängten, dessen Schaufenster bereits die spektakuläre Weihnachtsdekoration zeigten.
Seit seiner Gründung im Jahre 1891 hatte sich Brancroft's von einem malerischen zweistöckigen Backsteingebäude mit breiten gelben Markisen vor den Fenstern zu einem vierzehnstöckigen Glas-und-Marmor-Bau entwickelt, der einen ganzen Häuserblock der Chicagoer Innenstadt einnahm. Aber ungeachtet der zahlreichen Veränderungen, die Bancroft's erlebt hatte, war eines gleich geblieben: Rechts und links vom Haupteingang standen zwei livrierte Portiers. In ihren braun-goldenen Uniformen bildeten sie ein Überbleibsel aus der guten alten Zeit herrschaftlicher Eleganz - ein sichtbares Zeichen dafür, daß Kultiviertheit, Service und Eleganz bei Bancroft's nach wie vor großen Stellenwert besaßen.
Die beiden älteren Portiers, die schon seit dreißig Jahren hier gemeinsam Dienst taten und einander ebensolange eifersüchtig beäugten, beobachteten die Ankunft eines schwarzen BMWs. Insgeheim hoffte jeder, daß die Fahrerin vor seiner Seite des Eingangs halten würde.
Der Wagen fuhr an den Randstein, und Leon, der eine der beiden Livreeträger, fluchte verstohlen, als der BMW an ihm vorbeifuhr und auf dem Territorium seines Gegners zum Halten kam. Ernest eilte zum Wagen und hielt mit einer Verbeugung die Tür auf. »Guten Morgen, Miss Bancroft«, sagte er. Vor fünfundzwanzig Jahren hatte er auf dieselbe Weise ihrem Vater die Wagentüre aufgehalten, seinen allerersten Blick auf Meredith geworfen und genau dasselbe in genau demselben ehrerbietigen Ton gesagt.
»Guten Morgen, Ernest«, erwiderte Meredith, lächelte und übergab ihm die Schlüssel. »Würden Sie Carl bitten, den Wagen für mich zu parken? Ich habe heute früh so viel zu tragen und wollte nicht alles vom Parkhaus herschleppen.« Das Parken durch Angestellte war ein weiterer Service, den Bancroft's seinen Kunden bot.
»Selbstverständlich, Miss Bancroft.«
»Grüßen Sie bitte Amelia von mir«, fügte sie hinzu. Amelia war seine Frau; Meredith hatte ein sehr gutes Verhältnis mit vielen Angestellten des Hauses. Sie waren quasi ihre Familie, und in diesem Kaufhaus - dem Stammhaus einer wachsenden Kette, die inzwischen sieben Häuser in verschiedenen Städten umfaßte - war sie ebensosehr zu Hause wie in dem Herrenhaus, in dem sie aufgewachsen war, oder in ihrer eigenen Wohnung.
Sie blieb einen Moment auf dem Bürgersteig stehen und beobachtete die Menschenmassen, die sich vor dem Schaufenstern drängten. Ein Lächeln flog über ihre Lippen, und ihr Herz füllte sich mit Freude. Es war ein Gefühl, das sie fast jedesmal erlebte, wenn sie an der eleganten Fassade emporblickte, ein stolzes, enthusiastisches Gefühl, aber auch eines, das Beschützerinstinkte in ihr hervorrief. Heute war ihre Freude ungetrübt und unbeschreiblich groß, denn am vorhergegangenen Abend hatte Parker sie in die Arme genommen und mit feierlichem Emst erklärt: »Meredith, ich liebe dich. Willst du mich heiraten, Liebling?« Und anschließend hatte er ihr einen Verlobungsring über den Finger gestreift.
»Die Schaufenster sind dieses Jahr besser denn je«, sagte sie zu Ernest, als die Menge sich kurz teilte und sie einen Blick auf das erstaunliche Ergebnis von Lisas Fähigkeiten und Fertigkeiten werfen konnte. Lisa Pontini hatte für ihre Arbeit bei Bancroft's bereits landesweit Beachtung gefunden. Im kommenden Jahr, wenn ihr Chef in den Ruhestand ging, würde sie die Leitung der Dekoabteilung übernehmen.
Meredith konnte es kaum erwarten, Lisa zu finden und ihr die Neuigkeit über Parker zu berichten. Sie öffnete die Beifahrertür ihres Wagens, nahm zwei Aktenkoffer und diverse Stapel Ordner heraus und ging damit zum Eingang. Kaum hatte sie das Geschäft betreten, eilte ein Hausdetektiv auf sie zu und fragte: »Darf ich Ihnen das abnehmen,
Weitere Kostenlose Bücher