Schatten der Liebe
abend ist der Wohltätigkeitsball in der Oper. Ich werde für dich und Phil zwei Tickets besorgen«, sagte Meredith. Phil war Werbefotograph und Lisas derzeitiger Freund. »Im Anschluß daran geben wir eine Verlobungsparty.«
»Phil ist in New York«, sagte Lisa, »aber ich komme natürlich. Schließlich wird Parker jetzt ein Mitglied unserer Familie, und ich werde versuchen, ihn zu lieben.« Mit einem breiten Grinsen fügte sie hinzu: »Auch wenn er arme alte Frauen ins Verderben stürzt, weil er ihnen mit lächelndem Gesicht ihren Kredit kündigt ...«
»Lisa«, Meredith wurde ernst. »Parker findet deine Bankierswitze überhaupt nicht komisch, und du weißt das. Könntest du jetzt, wo wir verlobt sind, bitte damit aufhören, dauernd auf ihm herumzuhacken?«
»Ich werd's versuchen. Keine Hackereien und keine Bankierswitze mehr.«
»Danke.« Meredith stand auf. Lisa drehte sich abrupt um und beschäftigte sich auffällig intensiv damit, die Falten aus einem Stück roten Samt herauszustreichen.
»Stimmt irgendwas nicht?«
»Ob etwas nicht stimmt?« Lisa drehte sich um und lächelte gezwungen. »Was sollte nicht stimmen? Meine beste Freundin hat sich gerade mit dem Mann ihrer Träume verlobt. Was ziehst du morgen abend an?« wechselte sie hastig das Thema.
»Ich weiß noch nicht genau. Ich werde morgen im dritten Stock Vorbeigehen und mir etwas Umwerfendes aussuchen. Vielleicht schaue ich mir auch gleich die Hochzeitskleider an. Parker plant ein große Hochzeit mit allem Drum und Dran. Nur weil er schon einmal in großem Stil geheiratet hat, wollen wir uns nicht darum bringen lassen.«
»Hast du ihm von deiner anderen - Hochzeit erzählt?«
»Ja«, sagte Meredith und wurde endgültig ernst. »Parker war sehr verständnisvoll«, begann sie, wurde dann aber durch ein Klingeln im Lautsprecher unterbrochen. Die Kunden waren daran gewöhnt und ignorierten es, aber jeder Abteilungsleiter hatte seinen eigenen Code, auf den er so schnell wie möglich antworten mußte. Meredith lauschte: Zweimal kurz, Pause, einmal lang. »Das bin ich«, sagte sie und stand seufzend auf. »Ich muß sowieso los. In einer Stunde fängt eine Sitzung der Geschäftsleitung an, und ich muß mich noch vorbereiten.«
»Gib's Ihnen!« sagte Lisa und krabbelte zurück unter den Tisch.
Meredith machte sich auf den Weg zum Konferenzraum. Mehr denn je kam es jetzt darauf an, daß ihr gesamter Arbeitsbereich glänzte. Der Kardiologe ihres Vaters bestand darauf, daß er das Präsidentenamt entweder ganz niederlegte oder zumindest einen sechsmonatigen Urlaub nahm. Er hatte sich für den Urlaub entschieden, und gestern hatte er sich mit dem Vorstand getroffen, um zu besprechen, wer für die Dauer seiner Abwesenheit den Vorsitz führen sollte. Sie wünschte sich verzweifelt, diese Chance zu bekommen. Dasselbe taten allerdings auch vier andere Vizepräsidenten. Sie hatte genauso hart - härter - dafür gearbeitet wie die anderen; nicht so lange wie diese, aber mit grimmigem Eifer und sichtbarem Erfolg. Darüber hinaus hatte immer ein Bancroft den Stuhl des Präsidenten innegehabt, und wenn sie keine Frau wäre, das wußte Meredith mit absoluter Sicherheit, dann würde die Interims-Präsidentschaft automatisch ihr zufallen. Ihr Großvater war jünger gewesen als sie, als er dieses Amt übernahm, aber er hatte weder gegen seinen Vater noch gegen einen Teil des Vorstandes zu kämpfen gehabt, der beträchtliche Macht besaß. Daß es soweit gekommen war, war zum Teil Merediths eigene Schuld: Sie war diejenige gewesen, die eine Ausweitung von Bancroft's in andere Städte propagiert und dafür gekämpft hatte.
Enormes Kapital war dafür erforderlich gewesen, das nur dadurch aufzubringen war, daß Bancroft & Company an die Öffentlichkeit ging, also Anteile an der Börse verkaufte. Jetzt konnte jeder Bancroft & Company-Aktien kaufen, und jeder Anteil hatte Stimmrechte. Folglich wurden die Mitglieder des Vorstandes von den Aktionären gewählt und waren auch diesen verantwortlich - und nicht mehr wie früher Marionetten, die ihr Vater nach Belieben einsetzen und wieder entlassen konnte. Besonders von Nachteil war für Meredith die Tatsache, daß alle Vorstandsmitglieder selbst riesige Aktienpakete besaßen, mit denen sie stimmen konnten und die ihnen zusätzliche Macht verliehen. Positiv war, daß viele schon seit Jahren im Vorstand von Bancroft's saßen. Sie waren Freunde und Geschäftsfreunde ihres Vaters oder sogar Großvaters, und sie folgten bei
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