Schatten der Liebe
der sechzigsten Etage nahm die Empfangsdame den Telephonhörer ab und lauschte interessiert der Nachricht, die ihr der uniformierte Türsteher übermittelte, der gleichzeitig als Portier in der Erdgeschoß-Lobby fungierte. Nachdem sie aufgelegt hatte, wandte sich Valerie an die Sekretärin, die rechts von ihr saß. »Pete Duncan sagt, eben wäre eine silber-graue Stretch-Limosine in die Garage eingebogen«, flüsterte sie. »Er meint, es ist Farrell.«
»Silbergrau scheint seine Lieblingsfarbe zu sein«, erwiderte Joanna mit einem bedeutungsvollen Blick auf das neue, zwei Meter lange silberfarbene Firmenschild mit den Intercorp-Insignien, das an der Rosenholzwand hinter der Rezeption hing.
Zwei Wochen nach der Übernahme durch Intercorp war der Innenarchitekt von Intercorp mit einer Menge Handwerker hier erschienen. Als er zwei Wochen später wieder abfuhr, waren der gesamte Empfangsbereich sowie Matt Farrells zukünftiges Büro vollständig umgewandelt: Die verblichenen Teppichböden und modernen roten Ledersofas mit Glasbeistelltischen gewichen. Es war Teil von Matt Farrells Strategie, die Räumlichkeiten in allen von Intercorp neuerworbenen Unternehmen so zu renovieren, daß sie dem einheitlichen Firmenimage entsprachen.
Valerie und Joanna hatten wie alle anderen Angestellten Matt Farrells eiserne Hand bereits zu spüren bekommen. Innerhalb weniger Tage nach der Übernahme durch Intercorp war der Präsident - Mr. Vern Haskell - dazu gezwungen worden, vorzeitig in Rente zu gehen. Zwei seiner Vizepräsidenten - Haskells Sohn und Schwiegersohn - waren von selbst zurückgetreten, ein anderer Vizepräsident, der sich weigerte zu gehen, wurde gefeuert. In ihren Büros saßen jetzt drei von Farrells Leuten. Drei weitere waren an anderen Stellen des Gebäudes untergebracht, angeblich schnüffelten sie überall herum, steckten ihre Nasen in alles und fertigten Listen an - zweifellos mit den Namen derjenigen, die als nächste gefeuert werden sollten.
Aber nicht nur die obersten Führungskräfte waren aus ihren Jobs gedrängt worden, sondern auch deren Sekretärinnen. Matthew Farrell hatte seine eigene Sekretärin aus Kalifornien hergeschickt, die überall Mißfallen erregte. Eleanor Stern war eine stocksteife, dürre, kratzbürstige Person, die alle mit Adleraugen beobachtete und sich immens wichtig vorkam. Sie erschien morgens vor allen anderen im Büro und ging abends als letzte. Wenn die Tür ihres Büros offenstand, was momentan nicht der Fall war, reagierte sie auf das leiseste Lachen oder Tratschen mit der Strenge eines zornigen Feldwebels und kehrte erst dann an ihren Schreibtisch zurück, wenn jede Art privater Unterhaltung endgültig verstummt war. Nur aus diesem Grund widerstand Valerie der Versuchung, einige andere Sekretärinnen anzurufen und ihnen zu sagen, daß Farrell unterwegs war, damit sie wie zufällig vorbeikommen und einen Blick auf ihn werfen könnten.
Laut Boulevard- und Regenbogenpresse war er ein gutaussehender, niveauvoller Mann, der mit Filmstars und blaublütigen Damen ausging. Dem Wall Street Journal zufolge war er ein »Finanzgenie mit einer glücklichen Hand«. Mr. Haskell dagegen hatte an seinem letzten Tag im Büro gesagt, Matthew Farrell sei »ein arroganter, unmenschlicher Bastard mit dem Instinkt eines Bluthundes und der Moral eines Haifischs«.
Während Joanna und Valerie so auf die Ankunft ihres neuen Chefs warteten, waren sie bereits entschlossen, ihn auf den ersten Blick hin zu verabscheuen. Und das taten sie dann auch.
Das leise Dinnng der Aufzugsglocke schlug in der Empfangshalle wie ein dröhnender Gong ein. Matthew Farrell trat heraus, und im selben Moment schien sogar die Luft von der Energie seiner Ausstrahlung zu erzittern. Braungebrannt und athletisch gebaut, ging er mit ausgreifenden Schritten auf sie zu. Er blätterte in einem Bericht und trug einen Aktenkoffer und einen beigen Cashmeremantel über dem Arm. Valerie erhob sich unsicher. »Guten Tag, Mr. Farrell.« Ihre freundliche Geste wurde mit einem entmutigenden Blick aus klaren grauen Augen und einem kurzen Nicken erwidert. Dann fegte er weiter wie der Gott des Windes - mächtig, ruhelos und ohne normalen Sterblichen wie Valerie und Joanna auch nur die geringste Beachtung zu schenken.
Matt war schon einmal hiergewesen und ging mit unbeirrbarer Sicherheit auf die Privatbüros zu, in denen Haskells Präsident und seine Sekretärin residiert hatten. Erst nachdem er die Tür des Sekretariats hinter sich geschlossen
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