Schatten der Vergangenheit (Junge Liebe) (German Edition)
Beherrschung kostet, um nicht sofort loszuheulen wie ein Kleinkind, weil mich ausgerechnet jetzt sämtliche Emotionen auf einmal erschlagen. Ich hab nur noch den einen Wunsch, hier so schnell wie möglich zu verschwinden und diese verdammte Kleinstadt, sowie mein Heimatdorf, nie wieder zu sehen, weil ich mit jeder verbleibenden Minute ein Stück meiner hart aufgebauten Fassade, und somit ein Stück von mir selbst, zum Einsturz bringe. Denn inzwischen weiß ich sehr genau, dass meine überstürzte Flucht von damals der größte Fehler meines Lebens war, mit dem ich von nun an ganz bewusst leben muss.
„Sie hat mir erzählt, dass du grad bei ihr warst“, klingt seine Stimme noch immer so ekelhaft nett, dass es mir einen Knoten im Bauch bereitet, weil ich genau weiß, warum er so ist, was mich wahnsinnig verletzt und wütend macht.
„Schenk dir dein falsches Mitgefühl, ich komme schon klar“, zische ich ihn deswegen auch grundlos an, einfach nur, um von ihm und von diesem verfluchten Krankenhaus wegzukommen, dass mir den wichtigsten Menschen nehmen will.
„Hast du keine Patienten, die du quälen kannst, oder keinen furchtbar dringenden Anruf, der nach dir verlangt? Lass mich doch einfach in Ruhe und geh mir die paar Stunden noch aus dem Weg, dann bist du mich los, für immer“, hauche ich ganz leise kratzig und weiß genau, wie furchtbar ungerecht meine Worte klingen, traue mir aber selber einfach nicht und lasse ihn lieber sauer auf mich zurück, als irgendetwas unüberlegtes zu tun und nicht nur mein, sondern auch sein wohlbehütetes geordnetes Leben durcheinanderzubringen.
„Nein, eigentlich wollte ich viel lieber dich ein bisschen quälen, du bist so schön wehleidig“, grinst Marc mich einfach frech an und wagt es auch noch, dabei so unverschämt gut auszusehen, dass ich wirklich schwer kämpfen muss, um mich nicht einfach an seinen Hals zu werfen und ihn zu küssen, weshalb mein gut programmierter Körper sofort auf Abwehr geht.
„Hast du dich mit meinem Vater zusammengetan? Warum könnt ihr mich nicht einfach so akzeptieren, wie ich nun mal bin? Oder lasst mich doch einfach in Ruhe, ich hab euch doch nichts getan“, schreie ich meine Wut, die sich ja eigentlich ganz allein gegen meinen Erzeuger richtet, heraus und laufe so schnell ich kann zu meinem Auto, um mir vor Marc nicht die Blöße zu geben und zu heulen.
Und allein wegen diesem unsagbaren Hass auf meinen Vater lande ich kurz darauf in einem kleinen netten Friseursalon und verwandle mich wieder in den Jungen, der vor sechs Jahren alles hinter sich gelassen hat. Auch wenn die schwarzen Haare um einiges eigenwilliger als damals sind und nur eine weitere Form der Rebellion gegen ihn bedeuten, fühle ich mich zum ersten Mal wirklich frei und stehe schließlich, mit einem ausgeprägten Iro, um Punkt acht vor Melissa’s Haustür. Wo mich natürlich die Realität eiskalt wieder einholt, weil mir keine neue Frisur meine Freunde ersetzen kann, die ich nachher ein zweites Mal zurücklassen werde, ohne eine Erklärung oder auch nur die geringste Chance auf ein Gespräch.
Einzig Marcs Schwester gestehe ich dieses Privileg zu, nur um mein schlechtes Gewissen zumindest ein wenig zu beruhigen.
Und genau die reißt im selben Augenblick, als ich klingeln will, die Wohnungstür auf, nur um mich am Arm in die Wohnung zu zerren und mit einem knappen „bin gleich wieder da“, durch die Tür zu verschwinden, was ich erst durch das Geräusch des Schlüssels im Schloss wirklich realisiere und somit wieder Bewegung in mich kommt.
„Lissy? Hey, was soll das?“, rufe ich ihr noch nach, um sie aufzuhalten und stehe ein bisschen ratlos und überfordert auf einmal allein in ihrem Flur. Starre einfach die verschlossene Tür an, weil mein Verstand gerade nicht richtig mitkommt und drehe mich abrupt um, als ich hinter mir in der Wohnung ein Geräusch vernehme.
„Lissy, wo … du?“, unterbricht Marc sich selbst, als er offensichtlich aus der Küche kommt und mich entdeckt, wobei ihm seine eben noch sanften Gesichtszüge auf der Stelle gefrieren, während er mich von oben bis unten ausgiebig taxiert, als hätte er mich noch nie in seinem Leben gesehen und schließlich auf dem Fuß kehrt macht, nachdem er mich scheinbar ausreichend abgecheckt hat.
„Lissy!“, donnert dabei seine Stimme tief und dunkel durch die Räume und ziert meinen Körper mit einer ausgeprägten Gänsehaut, weil sie jede meiner Zellen in Vibration versetzt.
„Die ist nicht hier“,
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