Schatten Der Versuchung
ihm um, blieb aber zum Teil im Schatten, um ihren Gesichtsausdruck vor ihm zu verbergen. »Was, wenn ich ihm das Buch nicht geben will, Vikirnoff? Du hast mich nie gefragt, wie ich dazu stehe. Du bist davon ausgegangen, dass ich dazu bereit wäre, aber ich bin nicht der Typ, der einfach tut, was andere sagen.«
Vikirnoff studierte jede Nuance ihres Tonfalls. Zum ersten Mal war er unsicher, ob sie ihn aus reinem Trotz provozierte oder ob es ihr ernst war. Ihr Bewusstsein war ihm verschlossen, und obwohl er die Barriere, die sie errichtet hatte, hätte durchbrechen können, wäre es ein Affront gewesen, wenn sie eindeutig ihre Privatsphäre wollte.
Natürlich mussten sie das Buch dem Prinzen übergeben. Was sollten sie sonst damit machen? Vikirnoff entfernte sich ein Stück von ihr. Er wusste, dass sie seine Unruhe erkennen würde, aber das war ihm egal. »Und was würdest du mit dem Buch machen?« Er bemühte sich, seine Stimme völlig ruhig und unbewegt klingen zu lassen.
Natalya zuckte mit den Schultern. »Ich habe mich noch nicht entschieden, doch ich lasse mich zu nichts drängen. Das Buch ist ungeheuer mächtig. Es enthält Tausende Formeln und eine Magie, die so komplex und gefährlich ist, dass ich finde, kein anderer als ein Magier sollte es je besitzen.«
Vikirnoff versteifte sich. »Du würdest das Buch benutzen?« Sein Magen protestierte, und seine Lungen brannten.
Ihre Augen erstrahlten in einem weichen bernsteinfarbenen Schimmer. Lichtstreifen zogen sich über ihr Gesicht und ihre Haare, als sie näher ans Kerzenlicht trat, um nach dem langen Schwert zu greifen, das an der Wand lehnte. Auf einmal schien sie mit den Schatten zu verschmelzen und war kaum noch zu sehen.
»Falls ich mich dazu entschließen sollte, das Buch zu benutzen, wäre es meine Sache, Vikirnoff. Du kannst mir nicht vorschreiben, dass ich dieses Buch finden und dann jemandem geben muss, den ich weder kenne noch respektiere.«
Vikirnoff unterdrückte seine erste Reaktion und schwieg. Sie wusste sehr wenig über sein Volk, und sie hatte recht, er hatte selbstherrlich für sie entschieden, was mit dem Buch zu geschehen hatte, sowie sie es gefunden hatte. Und er drängte sie dazu, es zu finden. Natalya war nicht die Frau, die sich zu etwas zwingen ließ. Im Augenblick war sie beunruhigt und begehrte auf. »Habe ich mir deinen Respekt verdient?«
Ihre gelblichen Augen glitzerten und nahmen den unheimlichen Glanz des nächtlichen Raubtiers an. »Ja, natürlich. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Du bist nicht Mikhail Dubrinsky. Du bittest mich nicht, ihm das Buch zu überlassen, du sagst mir, dass ich es ihm geben muss.«
»Würdest du mir das Buch geben?«
»Ja.« Sie zögerte keine Sekunde. »Aber nicht, damit du es weitergibst. Nur um es zu bewachen.«
Vikirnoff atmete aus, als die Anspannung in seinem Inneren nachließ. Sie konnte ihn so leicht entwaffnen. »Willst du es behalten? Ich halte das Buch für etwas sehr Böses. Ist es falsch von mir, so zu empfinden?«
»Das Blut meiner Großmutter und von zwei anderen hat dieses Buch versiegelt. Natürlich halte ich es auch für etwas Böses, und das bedeutet umso mehr, dass es nicht in die falschen Hände geraten darf. Ich kenne deinen Prinzen nicht, und ich finde in dir keine Erinnerungen an ihn. Woher willst du sein Herz oder seine Seele kennen, Vikirnoff? Du willst ihm eine Waffe geben, die für uns alle der Untergang sein könnte, und du tust es in blindem Vertrauen.« Sie schüttelte den Kopf. »Das kann ich nicht.«
»Bist du besorgt, dass es Mikhail in noch größere Gefahr bringen wird?«
»Teilweise.«
»Niemand muss wissen, dass er das Buch hat. Er wird nicht versuchen, die Macht des Buches zu nutzen, sondern nur Xaviers Plan studieren, die Erde von unserer Spezies zu befreien. Xavier muss Jahrhunderte mit der Entwicklung einer Magie gegen mein Volk verbracht haben.«
»Davon bin ich überzeugt. Es geht doch um Folgendes. Du hast mich gebeten, den Aufenthaltsort des Buches zu entdecken, und das habe ich getan. Jetzt willst du, dass ich das Buch hole und es jemandem gebe, den ich nicht kenne. Klingt das für dich sinnvoll?«
»Wenn du mir vertraust, gibt es kein Problem. Wir wollen dieses Ding nicht behalten.«
»Ist es nicht besser, es einstweilen dort zu lassen, wo es ist, und es erst dann zu holen, wenn alles darauf hindeutet, dass Xavier kurz davor ist, das Versteck zu finden?« Natalya trat aus dem Schatten hervor. »Verlang das bitte nicht von mir,
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