Schatten Der Versuchung
andere Wahl, als diesem Mann das Leben zu nehmen, und diese Tat würde ihn sein Leben lang verfolgen.
»Du bist also der Mann, der das Herz meiner Schwester erobert hat.« Razvan seufzte leise. »Ich hatte gehofft, sie vor dir und deinesgleichen bewahren zu können. Ich habe sie vor Xavier beschützt, aber ich konnte nicht verhindern, dass du sie findest.«
Vikirnoff sagte nichts. Razvans Stimme war sanft und liebenswert und ganz anders als die eines Vampirs, die immer eine Täuschung war. Razvans Stimme war echt und voller Reinheit und Aufrichtigkeit. Wie konnte das sein, wenn er zu einem Vampir geworden war? Warum griff er nicht an?
»Ich kann nicht zulassen, dass jemand ihr wehtut. Welchen Trick du benutzt hast, um ihr einzureden, dass du sie liebst, weiß ich nicht, aber ich werde schon dafür sorgen, dass sie wieder einen klaren Kopf bekommt.«
Vikirnoff runzelte die Stirn. Hatte Razvan tatsächlich die grauenhaften Verbrechen begangen, die man ihm zur Last legte? Er schüttelte den Kopf und versuchte, klar zu denken. Was Razvan sagte, ergab keinen Sinn.
Natalya wusste, dass sie es nie rechtzeitig schaffen würde. Sie konnte sehen, wie Razvan sich näher an Vikirnoff heranschob, so langsam, dass er sich nicht zu bewegen schien, und doch tat er es. Als sie an Vikirnoffs Bewusstsein rührte, stellte sie fest, wie verwirrt er war. Razvan war ein Meister darin, seine Stimme einzusetzen. Sie hatte es vergessen, hatte vergessen, Vikirnoff davor zu warnen. Schlimmer noch, sie hatte den Keim des Zweifels in Vikirnoff gesät, und das nutzte Razvan jetzt zu seinem Vorteil aus.
Razvan schob sich noch ein Stück näher an Vikirnoff heran, zog dabei einen Dolch aus der Scheide und legte ihn flach an sein Handgelenk, wo Vikirnoff ihn nicht sehen konnte – aber Natalya sah es. Verzweiflung befiel sie, dazu ein Grauen, das sie beinahe erstickte. Töte ihn, Vikirnoff! Noch während sie den Befehl gab, schleuderte sie ihr Schwert in hohem Rogen durch die Luft. Natalya wusste, dass sie zu weit entfernt war, aber sie musste es versuchen. Sie setzte alles ein, was sie an Kraft besaß, ohne daran zu denken, dass sie mittlerweile eine vollwertige Karpatianerin war. Das Schwert sauste durch die Nacht wie ein Pfeil aus Licht und so grell funkelnd, dass es ihr in den Augen wehtat. Razvan machte im selben Moment einen Satz auf Vikirnoff zu, als das Schwert seinen Rücken traf und sich bis zum Heft in seinen Körper bohrte.
Kein Laut war zu hören. Kein Schrei. Razvan wandte den Kopf und schaute Natalya an, während er auf die Knie fiel und mit beiden Händen nach dem Schwert langte. Der Roden um ihn herum gab nach, und er versank. Seine blauen Augen wurden grün und starrten in ihre, als er unter die Erde glitt. Das Letzte, was sie sah, waren der Schock und das Entsetzen auf seinem Gesicht.
Natalya schrie, als sie zu ihrem Bruder rannte und ihre Arme nach ihm ausstreckte. Sie hatte keine Zeit zum Überlegen gehabt. Sie hatte sich blitzschnell entscheiden müssen, ohne lange abwägen zu können, ob Razvan gerettet werden könnte. Und jetzt war es zu spät. Was hatte sie getan? Warum war sie so zielsicher gewesen, als sie das Schwert geworfen hatte? Schon schloss sich die Erde wieder über ihrem Bruder. Schluchzend fiel sie auf die Knie und fing an, mit bloßen Händen zu graben. »Was habe ich getan? Was habe ich getan?«
Natalyas qualvoller Schrei zerriss Vikirnoff das Herz. Er lief zu ihr, schlang einen Arm um ihre Taille und riss sie hoch. »Hör auf, Natalya! Lass ihn ruhen! Wir müssen weg! Hörst du mich? Wir müssen sofort von hier weg!«
Die Klone rückten wieder an. Vikirnoff schüttelte sie. Sein Magen schnürte sich schmerzhaft zusammen. »Natalya!« Er würde sie nicht loslassen, auch wenn sie ihn anstarrte, ohne ihn zu erkennen, auch wenn sie fassungslos und verzweifelt aussah und sich wie eine Wahnsinnige gegen ihn wehrte. »Schau mich an, Natalya, verdammt!« Wieder schüttelte er sie. »Schau mich an!«
Sie schluckte mühsam, und ihr Blick wurde klarer. Hastig schaute sie zu den Klonen, die immer näher kamen. »Es geht schon wieder. Wirklich.« Sie wischte sich die Tränen aus den Augen, zog ihre andere Pistole und feuerte mehrere Salven auf die Klone ab, um sie kurzzeitig in Schach zu halten.
Vikirnoff schob sie vor sich und drängte sie zu den anderen Karpatianern, die sich immer noch durch die feindlichen Linien kämpften. Manolito war umgekehrt, um ihnen zu helfen, und lief jetzt vor Natalya her, und
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