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Schatten des Wahns: Stachelmanns dritter Fall (German Edition)

Schatten des Wahns: Stachelmanns dritter Fall (German Edition)

Titel: Schatten des Wahns: Stachelmanns dritter Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian V Ditfurth
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sie ihm riet, die Finger von der Sache zu lassen. Ja, er hatte zwei Fälle aufgeklärt, mit viel Glück, und schon glaubte er, er sei berufen, die Mordkommissionen dieser Republik vorzuführen. Du bist ein Idiot, murmelte er vor sich hin. Du bist der größte Idiot seit Christi Geburt. Dann fing er an zu lachen. Er lachte Tränen, und als er aufhörte zu lachen, liefen die Tränen weiter. Er stützte die Ellbogen auf die Knie und legte die Hände vors Gesicht. So saß er lange. Und während du Gespenster gejagt hast, ist die Zeit verronnen, die Bohming dir gegeben hat. Noch acht Wochen.
    Er zwang sich aufzustehen, überlegte, woher er gekommen war, und ging zurück zum Seminar. Der PC lief noch, der Bildschirmschoner zauberte Würfel und Dreiecke. An die Arbeit. Vergiss den Mist. Jetzt geht es nur noch um die Arbeit. Sobald die fertig ist, klärst du das Beziehungschaos.
    Tatsächlich gelang es ihm, sich mit der Habilschrift zu befassen, wenn auch nicht so konzentriert, wie er es sich gewünscht hatte. Aber er fand Fehler, auch bessere Formulierungen, einen Datumsirrtum, auch gab es vom Namen eines Lagerältesten unterschiedliche Schreibweisen.
    Er arbeitete stundenlang ohne Pause. Am Abend aß er eine Kleinigkeit in der Cafeteria, obwohl er keinen Hunger hatte. Er hatte keine Augen für die wenigen Menschen, die auch aßen und tranken. Bevor er seinen Salat verzehrt hatte, drängte es ihn zurück in sein Zimmer. Als könnte er mit Gewalt seine Dummheit ungeschehen machen.
    Er ließ das Telefon eine Weile klingeln, dann nahm er ab.
    »Kommst du noch?«, fragte Carmen.
    »Nein, heute nicht. Ich muss mal wieder nach Hause. Nach dem Rechten sehen«, schob er nach.
    »Ich verstehe«, sagte sie.
    »Ich muss das erst mal verdauen und mich ganz auf meine Arbeit konzentrieren. Ich komme sonst in Teufels Küche.«
    »Ja«, sagte sie nur. »Du hast ja einen Schlüssel. Komm, wenn dir danach ist.« Sie klang enttäuscht.
    Als er spät im Zug nach Lübeck saß, fühlte er sich besser, aber nicht gut. Er hatte einiges geschafft, wenn auch das Ende nicht absehbar war. Er fürchtete, die Arbeit in einem Zustand abgeben zu müssen, den er nicht als perfekt empfand. Hauptsache, du bist fertig. Die wissen doch nicht, was du als perfekt ansiehst. Denk an die Prüfungsarbeiten, die du gelesen hast. Perfekt? Dass ich nicht lache.
    Kurz bevor er das Haus erreichte, durchfuhr ihn die Vorahnung, Olaf könnte auf ihn warten. Aber Olaf ließ sich nicht blicken, und Stachelmann schloss schnell die Haustür. Er leerte den Briefkasten, Zeitungen, zwei Rechnungen, sonst nur Mist. Dann stieg er die Treppe hoch. Unwillkürlich lauschte er, ob Musik aus seiner Wohnung drang, aber dann lachte er leise und schloss die Tür auf.
    Der Anrufbeantworter blinkte, es war Wolf. Er warte auf seinen Rückruf. Stachelmann schaute auf die Uhr, und obwohl es nach elf war, wählte er Wolfs Nummer. Der hob nach einigem Klingeln ab, seine Zunge war schwer.
    »Herr Wolf, ich blase alles ab.«
    Der schwieg erst, dann sagte er: »Wenn das mal nicht zu früh ist. Mir macht es jedenfalls Spaß.«
    »Es hindert Sie niemand weiterzumachen. Aber nicht in meinem Auftrag. Ich will nichts mehr hören von der Geschichte. Haben Sie das verstanden?«
    Es klickte.
    Stachelmann freute sich, diesen Kerl losgeworden zu sein. So weit war er heruntergekommen, dass er sich mit einem Gestapotypen einließ. Gab es ein besseres Zeichen für Wahn?
    Er hätte jetzt gern einen Schnaps getrunken, hatte aber nichts mehr im Haus. Den Gedanken, ins Ali Baba zu gehen, ließ er eine Weile im Hirn kreisen, dann schaute er auf die Uhr und strich die Idee. Stachelmann lief in der Wohnung umher, schaute aus dem Wohnzimmerfenster in den schummrig beleuchteten Hinterhof, wo sich zwei Katzen anfauchten. Etwas Blechernes schepperte. Dann war es ruhig.
    Auf dem Schreibtisch lagen die Fotos von Schmelzer. Er setzte sich, rührte die Fotos aber nicht an. Dann schaltete er die Lampe ein und betrachtete die Bilder doch. Erinnerungen stiegen hoch, an Versammlungen, Liebschaften, Seminare, an Leute, deren Namen er vielleicht nicht einmal damals gekannt hatte. Dann wieder das Foto mit dem Brunnen vor dem Rathaus. Heute standen dort die Stühle von Cafés und Bars. Er erkannte Lehmann und die anderen. Er ließ seinen Blick über die Menschen auf dem Foto schweifen. Ein Stück weiter weg vom Brunnen, nicht mehr im Kontakt mit der Gruppe, stand eine junge Frau. Stachelmann bildete sich ein, ihre Augen leuchteten.

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