Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schatten des Wahns: Stachelmanns dritter Fall (German Edition)

Schatten des Wahns: Stachelmanns dritter Fall (German Edition)

Titel: Schatten des Wahns: Stachelmanns dritter Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian V Ditfurth
Vom Netzwerk:
gehalten hatte, verflüchtigte sich. Erst schaffst du nichts, weil du dir nichts zutraust, dann wirst du euphorisch, um schließlich erneut zu verzagen. Er schüttelte den Kopf und beschloss, ins Bett zu gehen. Am Morgen musste er früh aufstehen.
    Die Schmerzen weckten ihn schon gegen vier Uhr. An Schlaf war nicht mehr zu denken, als ihm einfiel, er musste später nach Reinbek fahren, um seine Mutter ins Krankenhaus zu bringen. Sonst hätte es vielleicht geholfen, eine Diclofenac zu schlucken und umherzulaufen, bis die Wirkung einsetzte. Also hockte er sich an den Computer und bearbeitete seinen Text. In einer Pause blätterte er in Ossis Akte, aber je öfter er hineinschaute, desto langweiliger erschien sie ihm.
    Er war froh, als er endlich losfahren konnte. Die Autobahn war voll, doch er kam zu früh nach Reinbek. Als er das Auto vor dem Haus der Mutter parkte, fühlte er sich schwer. Die Mutter erschien ihm blass, sie war offenbar schon lange wach, ein Koffer stand im Flur. Stachelmann rollte ihn zum Auto und wuchtete ihn in den Kofferraum. Sie hatte sich wohl auf einen langen Krankenhausaufenthalt eingerichtet. Sie gab sich fröhlich. Nun setzte der Schmerz im Rücken ein, der Koffer war schwer gewesen.
    »Schön, dass du da bist. Warst ja schon lange nicht mehr hier. Viel zu tun, der Sohn, immer so viel zu tun. Was macht deine Habilitation?«
    Er beschönigte, um sie nicht aufzuregen. »Ich fahre demnächst ein paar Tage nach Heidelberg«, sagte er.
    »Ich dachte, du fährst mit Anne in den Urlaub nach Schweden.«
    Er überlegte, woher sie es wusste. Hatte sie mit Anne telefoniert? Oder hatte er darüber gesprochen? »Das schaffe ich nicht, die Arbeit.«
    Sie schaute ihn streng an. In ihren Augen lag die Bitte, es nicht zu vermasseln mit Anne. Sie wusste wenig über die Irrungen und Wirrungen ihrer Beziehung, aber was sie wusste, schien ihr zu genügen, sich zu sorgen. Doch sie vermied es, bei ihm den Eindruck zu erwecken, sie wolle sich einmischen. Früher hatte sie manchmal gesagt: Das Alter hat seine Vorteile, man hat die meisten Fehler hinter sich. Stachelmann verstand, was sie dachte, ihre Miene verriet genug. Aber er verstand es nur, weil er in ihrem Gesicht las, was er fürchtete. Er war aus Schwäche unentschlossen und selbstbezogen, immer bereit, eine Dummheit an die andere zu reihen. An dem Ast zu sägen, auf dem er saß.
    Sie ging noch einmal durch alle Räume, um zu prüfen, ob sie das Haus ordentlich hinterließ, die Lichter und Geräte ausgeschaltet waren. Auf der Fahrt sprachen sie wenig, beide waren versunken in ihren Gedanken. Kurz vor dem Krankenhaus Eppendorf sagte sie: »Aber du beerdigst mich neben Vater, nicht wahr?«
    Er nahm eine Hand vom Steuer, drückte ihre und erwiderte: »Wenn es so weit ist, nicht vorher.«
    Sie lächelte. »Manchmal denke ich, es sei nun gut.«
    »Red nicht so.«
    »Aber du interessierst dich ja auch nicht mehr für mich. Ich falle dir doch nur zur Last.«
    »Unsinn«, sagte Stachelmann scharf. »Ich habe viel zu tun.«
    »Seit dem Streit mit Vati bist du so. Weil du nicht begreifen konntest, was er glaubte. Du weißt ja, ich sehe das ähnlich wie Vati. Ihr jungen Leute macht euch das zu einfach.«
    Stachelmann spürte seinen Missmut wachsen. Er dachte oft an den Streit mit dem Vater. Der hatte im Krieg als Hilfspolizist KZ-Häftlinge bewacht, die Bomben entschärfen mussten in Hamburg. Und er war vor dem Krieg in die SA eingetreten. Der Vater hatte versucht, sein Verhalten aus den Bedingungen der Zeit zu erklären, war gewissermaßen zum Historiker des eigenen Handelns geworden. Aber in diesem Fall war Stachelmann nicht bereit, historisch zu diskutieren, ihm war es eine moralische Frage gewesen, ob man Mitglied wird in einer Truppe, die sich ihrer Gewalttaten rühmte. Der Vater in einer antisemitischen Schlägerbande. Ihm fiel ein SA-Lied ein:

    Blut muss fließen knüppelhageldick,
    und wir scheißen auf die Freiheit dieser Judenrepublik.

    Er summte leise die Melodie. Die Mutter schaute ihn an. »Glaubst du, dein Vater hat Juden totgeschlagen?«
    Stachelmann antwortete nicht. Sie war aufgeregt wegen der Diagnose und der Operation, da musste er nicht einen Streit beginnen. Aber war er es, der angefangen hatte? Vielleicht wollte sie sich streiten, um sich abzulenken.
    Er rollte den Koffer bis in ihr Zimmer. Im zweiten Bett lag eine alte Frau mit einer Nasenkanüle, sie röchelte leise. Eine dicke Schwester hatte Stachelmann und seine Mutter geführt und drängte

Weitere Kostenlose Bücher