Schatten des Wahns: Stachelmanns dritter Fall (German Edition)
zu schlagen, der andere ließ los. Stachelmann fiel auf das Pflaster der Kleinen Mantelgasse.
»Was ischt denn hier los?«, rief eine Frau in kurpfälzischem Dialekt.
»Helfen Sie mir!«, rief Stachelmann. Die Kiefer schmerzten beim Sprechen.
»Erscht saufe und dann brave Leut aufwecke«, schimpfte die Frau. Aber sie kam dann doch auf die Straße. Sie war klein, dick und trug einen Frotteebademantel mit unbestimmbarem Muster. »Was haben Sie denn angestellt?«, sagte sie, als sie Stachelmann sah.
»Ich wurde überfallen«, sagte Stachelmann.
»Ach Gott, ach Gott«, rief die Frau. »Können Sie laufen?« Sie hielt ihm die Hand hin. Stachelmann zog sich hoch, blieb eine Weile stehen, weil er fürchtete zu fallen, wenn er lief. Aber dann tat er doch den ersten Schritt, die Frau hielt ihn an der Schulter. Er hatte fast überall Schmerzen. Sie führte ihn in eine kleine Küche mit niedriger Decke, die er fast berührte mit seinem Kopf. Er setzte sich auf einen Stuhl. Die Frau betrachtete sein Gesicht und hielt die Hand vor den Mund.
»Ich habe nichts getrunken«, sagte Stachelmann. »Bitte rufen Sie den Notarzt und die Polizei.«
Mit der Hand vor dem Mund verließ die Frau die Küche. Er hörte sie hektisch blättern, dann telefonierte sie. Ihre Panik schien zu wachsen, während sie am Telefon die Polizei drängte zu kommen. Dann setzte sie sich an den Küchentisch und sagte nur »Ach Gott, ach Gott«. Sie saß wie erstarrt, bot Stachelmann auch kein Glas Wasser an oder eine andere Erleichterung. Wahrscheinlich wünschte sie sich, dieser Mann, den sie leichtsinnig in ihre Wohnung gelassen hatte, würde gleich verschwinden und nicht die geringste Spur hinterlassen.
Stachelmann sah, wie sich das blaue Licht blinkend näherte. Dann erlosch es, Autotüren wurden zugeschlagen, die Frau eilte zur Tür, Stachelmann schien sie zu watscheln. Sie kehrte zurück in die Küche, zwei Polizisten folgten ihr.
Sie stellten sich vor, Stachelmann verstand die Namen nicht, und setzten sich an den Tisch. Beide trugen Schnauzbärte, der Schmächtigere legte einen Spiralblock vor sich auf den Tisch und schaute Stachelmann an, während der andere an seiner Uniformjacke nestelte und mit bemüht ruhiger Stimme Stachelmann bat zu schildern, was geschehen sei.
Was war geschehen? Stachelmann war am Abend in Heidelberg eingetroffen, hatte seinen Golf am Hotel geparkt, sein Zimmer bezogen, war dann zu einem Spaziergang über die Theodor-Heuss-Brücke und den Bismarckplatz zur Hauptstraße gelaufen, hatte bei einem Italiener einen Salat gegessen und ein Mineralwasser getrunken. Dann war er durch Gassen geschlendert, die er von früher kannte, hatte sich erfreut an einem lauen Sommerwind, der durch das Neckartal strich. In der Kleinen Mantelgasse kamen ihm zwei Männer entgegen, offenbar angetrunken, er beachtete sie nicht. Einer rempelte ihn an. Dann ging alles ganz schnell. Ein Mann packte Stachelmann von hinten, würgte ihn erst und umklammerte dann die
Oberarme fest wie ein Schraubstock. Dieser Mann war stark und stank nach Schnaps. Der andere sah schmächtiger aus, und Stachelmann konnte sich inzwischen vorstellen, dass der, der ihn festhielt, hätte härter schlagen können. Der Schmächtige schlug ihm erst ins Gesicht, dann aber bald auf den Körper. Stachelmann wurde übel, als er daran dachte. Er stand auf, machte einen schnellen Schritt zum Spülbecken und erbrach. Dann drehte er das Wasser auf.
»Lassen Sie«, sagte die Frau. »Ich bin Kummer gewöhnt.« Ihr Gesicht zeigte Ekel.
Stachelmann wischte sich mit dem Taschentuch den Mund ab und setzte sich wieder.
»Der Notarzt kommt gleich«, sagte der Polizist mit dem Block. Er schrieb Stachelmanns Aussage auf, dann fragte er, ob Stachelmann einen der Männer erkannt habe.
»Nein, es war dunkel, ich habe nicht auf sie geachtet, bevor sie schlugen, und dann ...«
»Ja«, sagte der andere Polizist. »Das kann ich verstehen. Sie haben sich erschreckt, als die auf Sie losgegangen sind. Wäre mir auch so gegangen.«
»Sie haben beide nach Schnaps gerochen. Der Mann, der geschlagen hat, war kleiner und schlanker als der andere, er reichte mir vielleicht bis zur Nase.«
»Welches Alter?«
»Weiß nicht. Jugendliche waren es nicht.« Er hatte das irgendwie gefühlt. Die Männer verhielten sich nicht wie Jugendliche. Sie waren erstaunlich ruhig gewesen. »Die haben das nicht zum ersten Mal gemacht.«
Die Polizisten schauten ihn erstaunt an. »Woran merkt man das?«, fragte der Polizist
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