Schatten des Wolfes - Schatten des Wolfes - Cry Wolf (Alpha & Omega 1)
knarrte unheilverkündend unter Samuels Griff, und er öffnete bewusst die Hände wieder. »Zu meiner Schande stellte ich mich auf die Seite seines Sohnes Gerry, und gemeinsam überredeten wir, sein Sohn und sein Arzt, den kranken Mann, es zu versuchen. Mein Vater wusste, wie gefährdet ein so kranker Mann wie Doc war, und er übernahm es selbst, ihn zu verändern - und es gelang ihm. Aber er sollte Recht behalten. Carter konnte den Wolf in sich weder akzeptieren noch beherrschen. Wäre es jemand anders gewesen, wäre er im Februar gestorben, zusammen mit den anderen, die der Veränderung nicht gewachsen waren. Aber Gerry, dessen Aufgabe das gewesen wäre, wollte es nicht tun. Und ohne seine Zustimmung hatte mein Vater das Gefühl, es ebenfalls nicht tun zu können.«
Er holte tief Luft und sah Carters Enkelin an. »Er hätte beinahe deine Mutter getötet, Shawna. Ich habe sie danach behandelt, und ich kann beschwören, dass es nur Glück war, keine Absicht von Carters Seite, dass er ihr Leben verschonte - du kannst sie selbst fragen. Wie sollte ein Mann, dessen Leben immer im Dienst von anderen gestanden hat, es ertragen können, seine Tochter getötet zu haben? Docs Tochter fragte den Marrok in meinem Beisein, ob er die Pflicht übernehmen würde, die ihr Bruder nicht auf sich nehmen wollte. Zu diesem Zeitpunkt war der Wolf in Carter so weit, dass er nicht mehr selbst darum bitten konnte. Nein, mein Vater hat nicht versucht, Carter zu der Veränderung zu überreden - er war nur der, der sich dazu bereitfand, mit den schlimmen Ergebnissen fertigzuwerden.«
Als Samuel mit seiner Ansprache fertig war, ließ er den Blick langsam über den Raum schweifen, wo Köpfe unterwürfig
gesenkt wurden. Er nickte knapp, dann setzte er sich wieder neben Charles.
Die Nächsten auf der Kanzel sahen den Marrok und seine Söhne nicht an, aber Anna hatte das Gefühl, eher aus Verlegenheit als aus dem mürrischen Zorn, der vor einer Viertelstunde noch so deutlich gewesen war.
Schließlich erhob sich der Geistliche wieder. »Ich habe hier einen Brief, den Carter mir vor ein paar Wochen gegeben hat«, sagte er. »Zu öffnen im Falle seines Todes - von dem er glaubte, dass er bald kommen würde, auf die eine oder andere Weise.« Er öffnete den Brief und setzte seine Brille auf.
»Liebe Freunde«, las er. »Beweint meinen Tod nicht. Ich bedauere ihn wirklich nicht. Mein Leben im vergangenen Jahr hat mir gezeigt, dass es selten eine gute Idee ist, sich in Gottes Plan einmischen zu wollen. Ich gehe mit Freude und Erleichterung zu meiner geliebten Frau. Aber ich habe eine letzte Bitte: Bran, alter Barde, sing bei meinem Beisetzungsgottesdienst etwas für mich.«
Es war sehr still in der Kirche geworden. Charles verspürte eine widerstrebende Zuneigung zu dem toten Mann. Er sollte gesegnet sein - er war ebenso sehr ein Heiler gewesen wie Samuel. Er hatte gewusst, was geschehen würde und wie die Leute es aufnehmen würden - der Marrok eingeschlossen.
Er stand auf und streckte die Hand zu seinem Vater aus, denn Bran schien - ungewöhnlich für ihn - überrascht zu sein. Bran ergriff die Hand nicht, aber er ließ Anna los und stand auf. Anna legte die Hand in ihren Schoß und bewegte sie ein wenig, als ob sie wehtäte.
»Wusstest du, dass Doc das tun würde?«, flüsterte Charles Samuel zu und nickte zu dem zerschlagenen Geigenkasten
hinüber, als sie ihrem Vater nach vorn folgten. Wenn er es gewusst hätte, hätte er auch ein Instrument mitgebracht. So blieb ihm nur das Klavier - das drei verstimmte Tasten hatte, um die man herumimprovisieren musste.
Samuel schüttelte den Kopf. »Ich hatte vor, lieber etwas zu spielen, als zu reden.« Dann fragte er ein wenig lauter, »Was wirst du singen, Dad?«, öffnete den Kasten und holte seine Geige heraus.
Charles warf seinem Vater einen Blick zu, aber er konnte Brans Miene nicht deuten. Zu viele Beerdigungen, zu viele tote Freunde, dachte er.
»Simple Gifts«, sagte Bran einen Augenblick später.
Charles setzte sich ans Klavier, während Samuel die Geige stimmte. Als sein Bruder nickte, spielte Charles die Einführung zu dem Shaker-Lied. Es war eine gute Wahl, dachte er. Nicht traurig, nicht übertrieben religiös, und es passte zu Carter Wallace, der überwiegend ein schlichter Mann gewesen war - und es war ein Lied, das sie alle gut kannten.
»Ein Geschenk ist die Sanftmut, ein Geschenk, gerecht zu sein,
zu erwachen am Morgen im hellen Sonnenschein,
und den Weg zu beschreiten, den wir
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