Schatten des Wolfes - Schatten des Wolfes - Cry Wolf (Alpha & Omega 1)
Kirchengewänder gekleidet, ging langsam den Hauptgang entlang, eine uralt aussehende Bibel in seiner linken Ellbogenbeuge. Als er vorn eintraf, war es still im Raum.
Sein sichtbares Alter sagte ihr, dass er kein Werwolf war, aber er hatte eine Präsenz, die sein »Willkommen und danke, dass ihr alle gekommen seid, um unserem Freund die letzte Ehre zu erwiesen« beinahe zeremoniell wirken ließ. Er legte die Bibel mit offensichtlicher Sorgfalt wegen des grau werdenden Leders auf das kleine Lesepult. Dann schlug er den schweren, verzierten Deckel auf und legte ein Lesezeichen beiseite.
Er las aus dem fünfzehnten Kapitel von Paulus’ erstem Brief an die Korinther. Und den letzten Vers sprach er,
ohne ins Buch zu sehen. »Tod, wo ist dein Stachel? Hölle, wo ist dein Sieg?«
Er hielt inne und ließ seinen Blick durch den Raum schweifen, ganz ähnlich, wie Charles es getan hatte, dann sagte er einfach: »Kurz nachdem wir wieder hierhergezogen waren, kam Carter Wallace um zwei Uhr morgens zu meinem Haus, um meiner Frau die Hand zu halten, als unsere Retriever-Hündin ihren ersten Wurf hatte. Er wollte kein Geld von mir und sagte, wenn er Geld dafür verlangen würde, hübsche Frauen zu trösten, wäre er ein Gigolo und kein Tierarzt.«
Er trat von der Kanzel weg und setzte sich auf den thronartigen Holzsessel rechts. Es gab ein Schlurfen und das Knarren von Holz, und dann stand eine alte Frau auf. Ein Mann mit leuchtend rostbraunem Haar führte sie den Gang entlang, eine Hand unter ihrem Ellbogen. Als sie an ihrer Bank vorbeikamen, konnte Anna den Wolf in ihm riechen.
Die alte Frau brauchte ein paar Minuten, um die Stufen bis oben auf die Kanzel zurückzulegen. Sie war so klein, dass sie sich auf einen Schemel stellen musste, und der Werwolf hinter ihr hielt sie mit den Händen an der Taille fest.
»Carter kam in unseren Laden, als er acht Jahre alt war«, sagte sie mit beinahe nur einem Hauch von Stimme. »Er gab mir fünfzehn Cents. Als ich ihn fragte, wofür, sagte er, er und Hammond Markham seien vor ein paar Tagen im Laden gewesen und Hammond habe einen Schokoriegel gestohlen. Ich fragte ihn, warum er mir das Geld brachte und nicht Hammond. Er erwiderte, Hammond wisse nicht, dass er mir das Geld brachte.« Sie lachte und wischte sich eine Träne aus dem Auge. »Er versicherte mir jedoch,
es sei Hammonds Geld, gestohlen an diesem Morgen aus seinem Sparschwein.«
Der Werwolf, der sie begleitet hatte, zog ihre Hand an den Mund und küsste sie. Dann hob er sie trotz ihrer Proteste in die Arme und trug sie wieder dorthin, wo sie gesessen hatten. Mann und Frau, nicht Enkel und Großmutter, wie es nach außen aussah.
Anna schauderte und war plötzlich schrecklich froh, dass Charles kein Mensch, sondern wie sie ein Wolf war.
Andere Leute standen auf und erzählten andere Geschichten oder lasen Verse aus der Bibel vor. Es gab Tränen. Der Tote, Carter Wallace, oder genauer Dr. Carter Wallace, da er offenbar der Tierarzt des Ortes gewesen war, war von diesen Menschen geliebt worden.
Charles streckte die Füße vor sich aus und senkte den Kopf. Neben ihm spielte Samuel zerstreut mit dem Geigenkasten und rieb über einen Fleck auf dem Leder.
Sie fragte sich, wie viele Beerdigungen hier stattgefunden, wie viele Freunde und Verwandte sie begraben hatten. Sie hatte ihren alterslosen, sich regenerierenden Körper zuvor verflucht - weil er es ihr so verdammt schwer gemacht hatte, Selbstmord zu begehen. Aber die Anspannung in Charles’ Schultern, Samuels Unruhe und Brans verschlossenes Schweigen sagten ihr, dass es auch andere Dinge gab, die die Beinahe-Unsterblichkeit zu einem Fluch machten.
Sie fragte sich, ob Charles schon einmal verheiratet gewesen war. Mit einer Menschenfrau, die gealtert war, während er jung geblieben war. Wie würde das sein, wenn Menschen, die sie als Kinder gekannt hatte, alt wurden und starben, während sie niemals ihr erstes graues Haar bekam?
Sie warf Charles einen Blick zu. Er war zweihundert Jahre alt, hatte er ihr gesagt, sein Bruder und sein Vater sogar noch älter. Sie waren bei einer Menge Begräbnisgottesdiensten gewesen.
Die wachsende Nervosität der Gemeinde unterbrach ihre Gedanken. Sie sah sich um und entdeckte ein Mädchen, das den Mittelgang entlangkam. Sie hatte nichts an sich, was erklärt hätte, dass sie solche Unruhe bewirkte. Obwohl sie zu weit entfernt war, um sie über so viele Leute hinweg riechen zu können, schrie etwas an ihr geradezu Mensch.
Das Mädchen stieg
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